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Kerstin
Merkel170
ne geistige Ausbildung macht auch rasante Fort-
schritte. Auffällig ist die sehr sorgfältige Schrift,
die genauso penibel wirkt wie seine Zeichnungen.
Doch die erfolgreiche Erziehung nahm mit dem
Tod der Mutter, Kaiserin Maria Theresa, am 12.
April 1807 ein abruptes Ende. Einen Tag später
wurde der Erzieher ohne Begründung und ohne
Bezahlung weggeschickt.47 Zwei Jahre gingen nun
dem Thronfolger bei der Erziehung und Bildung
verloren. Erst nach der dritten Heirat des Kaisers
mit Ludovika nahm sich die neue Kaiserin, die
zugleich Ferdinands Stiefmutter und Cousine war,
des Problems an.48 Sein neuer Erzieher wurde im
April 1809 bis 1815 Josepf Freiherr von Erberg.
Nun zu den Geschenken Ferdinands. Das äl-
teste datiert am 4. Oktober 1800. Ferdinand war
sieben Jahre alt, als er ein Gedicht49 zum Namens-
tag von seinem Vater Franz I. in deutscher Kur-
rentschrift geschrieben hat (Abb. 12). Um dem Ge- schenk einen würdigen Rahmen zu geben, ist der
Text in einen vorgedruckten Rahmen eingeschrie-
ben. Diese Blanco-Glückwunschkarten waren sehr
beliebt und finden sich mehrfach in den Werken
der Habsburger Kinder. Doch konnte er denn in
dem Alter schon schreiben? Angeblich lebte er bis
zu seinem neunten Lebensjahr relativ isoliert und
ungebildet. Offenbar ist es tatsächlich gelungen,
dem Kind das Schreiben wie eine Dressur beizu-
bringen.50 Immerhin zeigt Ferdinand sein Leben
lang eine hohe Fertigkeit im besonders sauberen
Schreiben und Zeichnen. Die Schrift wirkt stel-
lenweise unsicher und wird in den unteren Zeilen
kleiner, weil sich der Schreiber beim Verhältnis von
Text und Schriftfläche verschätzt hat. Diese Un-
regelmäßigkeiten sprechen durchaus für ein Kind
als Schreiber. Das Blatt erlebte als vorzeigbare Leis-
tung des kränkelnden Thronfolgers eine besondere
Wertschätzung, wurde es doch hinter Glas gerahmt
12: Ferdinand, Gedicht
im vorgedruckten Rahmen
(4. Oktober 1800)
47 Holler, Ferdinand (zit. Anm. 45), S. 75.
48 Weissensteiner, Frauen auf Habsburgs Thron (zit. Anm. 38), S. 51f.
49 Lieber guter Vater / Etwas kann ich Dir wohl geben / Zu Deinem Namenstag / Mein Herz ja selbst das Leben / Und was
ich sonst vermag / Sind alles Kleinigkeiten / Drum bitt ich Gott den Herrn / Daß er zu diesen Zeiten / Dir Frieden möchte
gewährend / Erfreun der Menschheit Glück und Deiner Tage Lohn / Das wünscht Dein treues Volk dies wünscht mit ihm
Dein Sohn / Ferdinand Schönbrunn, den 4ten Oktober 1800
50 In den zahlreichen Erziehungsprotokollen der Habsburger finden sich Hinweise, daß die Kinder mit drei Jahren
spielend buchstabieren und lesen lernten, vgl. Langsam, Franz (zit. Anm. 28), S. 13; Weiss, Zur Herrschaft geboren
(zit. Anm. 2), S. 85–88, bes. S. 87–88.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur