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der guten Mutter ... dem besten Vater 171
und präsentiert. Die Idee des Geschenks wie auch
das Gedicht gehen aber auf keinen Fall auf den
Siebenjährigen zurück, sondern sind insgesamt auf
Weisung und nach einer Textvorlage des damaligen
Betreuers oder Erziehers entstanden. Noch 1809
drängte Erberg darauf, daß Ferdinand endlich sei-
ne Briefe in eigenen Worten und nicht nach Diktat
schreiben soll, demnach sind die vorher entstan-
denen Texte alle im Hinblick auf ihre sprachliche
und inhaltliche Authentizität mit Vorsicht zu le-
sen.51 Eine weitere undatierte Textwidmung zum
Geburtstag von Franz ist im gleichen verglasten
Holzrahmen eingefaßt wie jene aus dem Jahr 1800,
auch die Schrift ist identisch.52 Wieder wurde eine
Blanco-Glückwunschkarte ausgefüllt, nur daß die-
ses Mal der gestochene Rahmen eine bekränzte
Stele mit den Attributen der Künste zeigt. Diese
beiden frühen Selbstzeugnisse eines Kindes bezeu- gen die Hilflosigkeit der Erzieher, die ihn völlig un-
kindliche Texte abschreiben ließen, um damit ihre
didaktischen Mißerfolge zu kaschieren. Sie bezeu-
gen aber auch die Unsicherheit des Vaters, der die
bescheidenen Werke rahmte und präsentierte wie
ein sichtbarer Beweis dafür, daß der Thronfolger
doch kein hoffnungsloser Fall sei.
Die ersten selbstgemalten Bilder, eigentlich
kolorierte Kupferstiche (Abb. 13, 14), sind beide
am 25. August 1808 datiert, beides sind Namens-
tagsgeschenke für seine junge Stiefmutter
Ludovika, die den Kaiser am 6. Januar 1808 ge-
heiratet hatte und sich zu dem Zeitpunkt seit acht
Monaten intensiv um die Erziehung Ferdinand
kümmerte – keine leichte Aufgabe für die erst
21jährige.53 Sie organisierte einen fähigen Lehrer,
nahm selbst an dem Unterricht teil und baute
für alle Kaiserkinder eine behagliche Familien-
13: Ferdinand, kolorierte Graphik nach dem Gemälde
„Erminia“ von Angelika Kauffmann (25. August 1808) 14: Ferdinand, kolorierte Graphik nach dem Gemälde
„Immortalia“ von Angelika Kauffmann (25. August 1808)
51 Holler, Ferdinand (zit. Anm. 45), S. 94.
52 Liebster bester Vater Ich bin recht sehr glücklich und herzlich froh daß ich heute zu Ihrem Geburtstage meinen innigsten
Glückwunsch – daß der liebe Gott Sie noch viele Jahre recht gesund und vergnügt zu meiner Freude erleben lassen möge –
schriftlich übergeben darf. Ich bin in tiefster Ehrfurcht Ihr gehorsamer Sohn Ferdinand.
53 Ludovika mußte sich auch noch um die jüngeren, zum Teil auch lernbehinderten Geschwister von Ferdinand küm-
mern. Ein Lichtblick war für sie die fast gleichaltrige Marie Luise, mit der sie schon vor der Hochzeit freundschaft-
lich verbunden war.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur