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Kerstin
Merkel180
Zu seinem 38. Geburtstag schenkte Gisela ihrem
Vater am 18. August 1868 die Zeichnung einer
Gebirgslandschaft mit einer im Tal eingebetteten
Ortschaft (Abb. 24). Das Bild der Zwölfjährigen
ist sorgfältig in ein dickes Passpartout eingefügt
und wird durch diese Rahmung deutlich aufge- wertet. In diesem Jahr wird Giselas „Hobby“ ein
erstes und einziges Mal in einem Brief ihrer Mut-
ter, Kaiserin Elisabeth, an Rudolf erwähnt: Papa
hat mir heute morgen über die Briefe berichtet, die
er von Dir und Gizela bekommen hat. Anschei-
nend zeichnet sie schon ziemlich viel und findet viel
Freude daran.68 Die Zeilen klingen, als ob Elisa-
beth erstmals überhaupt wahrgenommen hat,
mit wieviel Talent und Interesse ihre Tochter sich
dem Zeichnen widmete. Das nächste von Gisela
erschaffene Geschenk stammt aus dem Jahr 1871
zum 41. Geburtstag des Kaisers. Ein pinselhal-
tender Heiliger, vielleicht Lukas, erscheint in
einem Oval, um das die Zwickel in illusionisti-
scher Weise eingetieft sind. Eine lavierte Zeich-
nung, die ein weites Panorama im stürmisch-
regnerischen Wetter darstellt, trägt das Datum
24.12.1876, als Gisela schon seit drei Jahren mit
Leopold Prinz von Bayern verheiratet war. Das
Bild trägt keinen Empfängernamen, aber es
müßte sich um ein Weihnachtsgeschenk für
Franz Josef handeln. Zwar hatte ihre Mutter an
Weihnachten Geburtstag, doch war Giselas Ver-
hältnis zu Elisabeth eher distanziert und kühl,69
so daß Elisabeth als Empfängerin ausgeschlossen
werden kann.
Gisela (12. Juli 1856 – 27. Juli 1932)
24: Gisela, Landschaft mit Dorf (18. August 1868)
Das Geschenk Rudolfs zum 40. Geburtstag von
Franz Josef ist die ungewöhnlichste aller Kinder-
gaben. Der zwölfjährige Kronprinz aquarellierte
absolut frei, ohne jede graphische Vorlage ein
schwarzes Schaf, das vor einem fruchttragenden
Holunderbusch grast (Abb. 25). Die Beine des
Schafes spiegeln sich in einer Pfütze, sein Hals
ist mit einem roten Band und einem goldenem
Glöckchen geschmückt. Rudolfs naturwissen- schaftliches Interesse spiegelt sich in zahlreichen
erhaltenen kolorierten Zeichnungen, in denen
Vögel, Hamster, Pferde und Hunde zu finden
sind. Diese Motive malte er immer nach der
Natur, und trotz seiner Begeisterung für die Tie-
re sah er keinen Widerspruch darin, diese meist
erst töten und präparieren lassen zu müssen, um
sie dann zeichnen zu können. Von seinem Vater
permanent zu Jagderfolgen angetrieben, war er
Rudolf (21. August 1858 – 30. Januar 1889)
68 Den Brief schickte Elisabeth am 3. April 1868 an ihren Sohn, vgl. Weissensteiner, Rudolf (zit. Anm. 66), S. 154.
69 Weissensteiner, Rudolf (zit. Anm. 66), S. 167.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur