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der guten Mutter ... dem besten Vater 181
selbst ein erfolgreicher Jäger und fand in diesem
Gebiete für sich und Franz Josef ein gemein-
sames Interessengebiet, vielleicht das einzige.
Umso mehr erstaunt es, daß Rudolf dann nicht
ein Tier als Motiv für sein Geburtstagsgeschenk
wählte, das in irgendeiner Form die Jagd berühr-
te, sei es ein Pferd, ein Hund oder ein Vogel.
Nein, er wählte ein schwarzes Schaf. Ist es Zu-
fall oder will er sich selbst als solches deklarie-
ren? Schaut man sich seine Lebensumstände in
diesem Jahr an, kann man schon leicht auf den
Gedanken kommen, daß er sich als ausgesto-
ßenes, einsames und überflüssigstes Familien-
mitglied fühlte. Nach der Geburt der jüngsten
Kaisertochter Valérie 1868 hatte Elisabeth nur
noch Augen für dieses Kind. 1869 hielt sie sich
mit Valérie erst in Buda, dann im Sommer in
Possenhofen und am Starnberger See auf. Ihre
wenigen Briefe an Rudolf, der in Wien seinen
Studien nachging und den Sommer mit Gisela
in Ischl verbrachte, beginnen immer mit der Ent-
schuldigung, daß sie keine Zeit zum Schreiben
hat. Die Gründe für den Zeitmangel seiner Mut-
ter mag Rudolf besonders geschmerzt haben: Sie
ritt, schwamm, spielte mit Valerie und den neuen
Hunden, fuhr Kahn und traf die große Fami-
lie. All diese Kurzweil schilderte sie dem einsam
daheim gebliebenen Rudolf in vergnüglichen Worten in ihren Briefen. Nur am 18. August,
dem Geburtstag des Kaisers, traf sich die ganze
Familie kurz in Ischl. Auch 1870 waren Elisabe-
th und Valerie erst in Ungarn, dann im Winter
auch mit Gisela in Meran, Rudolf hingegen fri-
stete sein Dasein in Wien mit einem erheblichen
Studienprogramm.70 In einem Brief vom 22.
November 1870 an Franz Josef muß sich Rudolf
über seine Einsamkeit beklagt haben, doch wenn
ihn auch der Vater bedauerte, so gemahnte er ihn
an seine Pflichttreue, mit der er diese Zeit zum
fleißigen Studium nutzen solle. Auch die Briefe
des Kaisers aus dieser Zeit sprechen deutliche
Worte über dessen Einsamkeit, er führe ein ein-
töniges Leben, klagte er dem Sohn.71 Der sensible
Rudolf, der mittlerweile auf die kleine Valerie ex-
trem eifersüchtig war, sieht sowohl sich als auch
seinen Vater als Opfer von Elisabeths Abwesen-
heit, so kritisierte er als Zwölfjähriger mit deut-
lichen Worten in einem Brief an die Großmutter,
daß die Kaiserin in den schweren Kriegszeiten
nicht bei ihrem Mann weile.72 Das schwarze
Schaf ist im übertragenen Sinne also durchaus
doppeldeutig zu verstehen, rekurriert es doch
sowohl auf die Einsamkeit von Rudolf als auch
auf die des Vaters, die beide in diesen Jahren an
Isolation litten.
25: Rudolf, Schwarzes Schaf
(18. August 1870)
70 Weissensteiner, Rudolf (zit. Anm. 66), S. 158–163.
71 Weissensteiner, Rudolf (zit. Anm. 66), S. 53, 59.
72 Weissensteiner, Rudolf (zit. Anm. 66), S. 133.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur