Seite - 182 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
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Kerstin
Merkel182
Von der jüngsten Kaisertochter Valerie ist in der
ÖNB zwar keine Zeichnung,73 aber immerhin
ein Hinweis auf ein verschollenes Werk erhalten.
Zum 51. Geburtstag widmete Valerie ihrem Vater
ein dreiseitiges Gedicht. Die vierte Strophe lau-
tet: Nimm als Pfand für Dank und Liebe / Die-
ses Blatt zwar schlecht und klein / Weil ich selbst
es Dir gezeichnet / Mag es Dir nicht wertlos sein.
Genau wie einst Ferdinand bedient sich Valerie
in ihrer schriftlichen Widmung diverser Beschei- denheitsfloskeln. Die Tatsache, daß sich das Bild
nicht gemeinsam mit den anderen im Konvolut
befindet, läßt vermuten, daß der Empfänger es
vielleicht sogar aufgehängt hat. Der Arbeits- und
Wohnbereich von Franz Josef war immer reich
dekoriert mit Fotografien und sonstigen Anden-
ken an seine Lieben. Die langen Trennungen, die
die Familie hinnehmen mußte, ließen ihn offen-
bar zu einem Memorabilien-Sammler werden.
Valerie (22. April 1868 – 6. September 1924)
schlussfolgerungen
Vier Generationen zeichneten mit Begeisterung,
oft auch mit Talent und beschenkten sich gerne
mit ihren eigenhändigen Bildern. Vor allem die
Eltern wurden anläßlich ihrer Namens- und Ge-
burtstage mit Zeichnungen beglückt. Die Bilder
sind wenn auch dilettantisch, so doch für das Al-
ter der Kinder überraschend perfekt und kaum
mit jenen zu vergleichen, die heute von Gleich-
altrigen im Kunstunterricht erstellt werden.
Dennoch sind keine Zweifel angebracht, daß die
Werke im Wesentlichen eigenhändig sind, hier
und da sicher mit Hilfestellung des Zeichenleh-
rers. Der Unterricht war von Anfang an nicht
wie heute auf Kreativität, sondern auf exaktes
Sehen und Wiedergeben ausgerichtet. Doch ist
über die Jahrzehnte deutlich zu erkennen, wie
sich der Zeichenunterricht entwickelte und die
Kinder freier werden durften.
Die Lehrer der Habsburger standen unter
erheblichen Druck, besonders bei den älteren
Kindern und erst recht bei dem Thronfolger. Die
Eltern erwarteten konkrete Ergebnisse, sei es in
Fremdsprachen, Reiten oder Zeichnen. Die Prä-
sentation der Bilder war also auch für den Lehrer
ungemein wichtig, so dürften sie sehr darauf ge-
achtet haben, daß ihre Schüler zu den Festtagen eigenhändige Zeichnungen als Geschenke für die
Eltern vorbereitet hatten. Dabei passierten auch
peinliche Versehen wie das gleiche Geschenk
für Kaiser Franz belegt, weil im Unterrichtspro-
gramm eben dieser Kopf für die zehnjährigen
Schüler vorgesehen war. Doch trotz der für uns
heute stupid wirkenden Praxis des Abmalens ge-
lang es den Kindern immer wieder überraschend,
eigene Ideen einzubringen, seien es durch indi-
viduelle Inschriften personalisierte Bilder (Abb.
13, 14, 22) oder die Kombination zweier Bilder
als Geschenk für Vater und Mutter (Abb. 7a, b,
19a, b). Auch emotionale Elemente sind reichlich
zu finden. Nicht ohne Grund sind die meisten
Geschenke um Franz I. zu Zeiten seiner dritten
Ehe mit Ludovika entstanden, der von den noch
kleinen und auch halbwüchsigen Kindern herz-
lichste Zuneigung entgegengebracht wurde. So
sind diese Bilder nicht nur ein Zeugnis für die
Gefühlswelt ihrer kleinen Schöpfer, sondern
werfen auch ein bezeichnendes Licht auf das
einnehmende und liebevolle Wesen der jungen
Kaiserin, die so früh die Verantwortung für so
unterschiedliche und auch lernbehinderte Kin-
der übernahm. Die Zeichnungen vermögen das
Bild eines umstrittenen, zwiespältig beurteilten
73 Von Valerie sind einige Zeichnungen erhalten, die sie bei Reinhard Kroh anfertigte.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur