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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Seite - 191 -
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eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 191 verweisend, mit der Problematik, daß wir „im Schauspiel der Welt angeschaute Wesen sind“9. Und in der Theorie des Porträts spielt die Frage des Blickwechsels zwischen Porträtiertem und Betrachter, die im Falle eines Selbstporträts noch komplexer wird, eine wesentliche Rolle.10 Im Mythos ist es der Held Perseus, der sich vor den Blicken der Medusa schützen muß, um die Gor- gone zu überwinden. Von den olympischen Göt- tern hierin mit allerlei Hilfsmitteln unterstützt, erblickt Perseus im spiegelnden Schild Athenes das Antlitz der Medusa im Moment ihres Todes. Diese Konstellation kann man für die In- terpretation der beiden kleinen Selbstbildnisse Warhols auf goldenem und silbernem Grund fruchtbar machen. So ist eine Position des Schil- des denkbar, in der Perseus Medusa im Schild erblickt, aber gleichzeitig Medusa Perseus’ Spie- gelbild sieht, so daß die Bilder von Perseus und Medusa zugleich virtuell im Spiegel-Schild an- wesend sind, ohne jedoch aus einem Blickwin- kel gleichzeitig sichtbar zu sein. Damit nähme Perseus im Augenblick des durch den Spiegel vermittelten Blickwechsels und der Überlage- rung der Reflexion in gewisser Weise das Ant- litz der Medusa an,11 und wir sähen im Bild, was Medusa im Augenblick ihres Todes sah: Einen zugleich erschreckten wie Schrecken ver- breitenden Perseus, der ihr das Leben nahm. Der Blick in den Spiegelschild führt somit zu einer komplexen Umkehrung. Medusas grau- enerregender Blick teilt sich über den Spiegel Perseus mit, affiziert diesen und kehrt, nun ge- gen Medusa gerichtet, übermächtig zu ihr selbst zurück. Zum anderen ist ebenso denkbar, daß sich Medusa einen Moment lang selbst im glän- zenden Schild erblickte und durch den eigenen Anblick erstarrte; eine Konstellation, die vor 9 J. Lacan, Die Spaltung von Auge und Blick, in: ders., Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch XI, Weinheim 1978, (erstm. erschienen in frz. Sprache 1964), S. 75– 84, hier S. 81. Lacan verweist zwar nicht auf den Mythos der Medusa, sondern spricht von einer Maske oder dem Bildschirm, der vor dem Einbruch des Realen schützen und die Versteinerung des Blicks verhindern kann. Doch schon Hal Foster hat darauf hingewiesen, daß Lacans Analyse vom Medusa-Mythos profitiert und sich seine Sprache aneignet, etwa wenn er über die Zähmung des Blicks schreibt und die Faszination reflektiert, die vom „bösen“ Blick ausgeht. H. Foster, Prosthetic gods, Cambridge 2004, S. 281. 10 Vgl. hierzu G. Boehm, Bildnis und Individuum, Basel 1985. Boehm hat auf die herausragende Rolle hingewiesen, die das Gesicht und der Blick für die Realisierung von Individualität in der Entwicklung der Bildgattung des selb- ständigen Porträts spielen, da sich hier, im Gesicht, die Fülle der Intentionen und Handlungsmöglichkeiten des Dargestellten in der Doppeldeutigkeit und Gleichzeitigkeit von Sehen und Selbst-sichtbar-werden zeigen. Ebenda, S. 97 ff. Durch einen „intensivierten Blick“ zeichnen sich zudem von Anfang an Selbstbildnisse aus. Vgl. ebenda, Der Andere als Prototyp, S. 231–250, sowie G. Boehm, Der blinde Spiegel. Anmerkungen zum Selbstbildnis im 20. Jahrhundert, in: T. Döring (Hrsg.), Neue Ansichten vom Ich. Graphische Selbstbildnisse des 20. und 21. Jahrhun- derts, Ausstellungskatalog, Herzog-Anton-Ulrich-Museum, Braunschweig 1997, S. 25–33. R. Brilliant, Portraiture, London 1991, befaßt sich mit der Problematik der persönlichen Identität und der Frage ihrer Darstellbarkeit in der Porträtmalerei, die er an der Schnittstelle zwischen Kunst und sozialem Leben ansiedelt. Auch in seiner Studie spielt der Blick des Porträtierten eine zentrale Rolle, s. ders., Here’s Looking at You, S. 141 –174. Zur Bedeutung des Blicks für die Konstitution des Subjekts im Porträt, s. a. J.-L. Nancy, Porträt und Blick, Stuttgart 2007. Darüber hinaus wird die Grundproblematik des Verhältnisses zwischen aktivem Blicken und passivem Angeblicktwerden aber auch in Reflexionen über Bildlichkeit überhaupt fruchtbar gemacht, vgl. etwa G. Didi-huberman, Was wir sehen blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes, München 1999, vor allem S. 223 ff., (Die endlose Schwelle des Blicks), B. Waldenfels, Verkörperung im Bild, in: R. Hoppe-sailer/C. Volkenandt/G. Winter (Hrsg.), Logik der Bilder: Präsenz – Repräsentation – Erkenntnis, Berlin 2005, S. 17–34, bes. S. 21 ff., J. Elkins, The Object Stares Back. On the Nature of Seeing, San Diego 1996. 11 Darauf, daß Perseus sich in einer gewissen Weise Medusa assimiliert, um sich ihr annähern zu können, hat schon H.-D. Bahr hingewiesen: ders., Medusa oder der Blickwechsel, in: Konkursbuch 10: Zauber und Blendung. Über Gefühle. Zeitschrift für Kulturkritik, 1982, S. 185–199, bes. S. 188.
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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band
LIX
Herausgeber
Bundesdenkmalamt Wien
Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch, englisch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78674-0
Abmessungen
19.0 x 26.2 cm
Seiten
280
Schlagwörter
research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur
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