Seite - 192 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Bild der Seite - 192 -
Text der Seite - 192 -
IRIS
wIEN192
allem beim Betrachten derjenigen Selbstbildnis-
se der Warhol’schen Serie von 1986 in den Sinn
kommen mag, die auf den Positiven der Photo-
graphien des Künstlers in Fright-Wig beruhen,
wobei hier jedoch die Position des Perseus un-
besetzt bliebe, er gewissermaßen außerhalb des
Bild-Dispositivs verbleiben würde. Was diese
beiden möglichen Konstellationen jeweils für die Interpretation der Selbstbildnisse bedeuten
könnten und welche Schwierigkeiten sich hier-
durch für den vor den Bildern situierten Betrach-
ter ergeben, bleibt später zu erörtern. Zunächst
soll geprüft werden, ob eine solche Interpretation
überhaupt legitim ist oder ob hier nicht vielmehr
etwas in ein affektiv machtvolles Bild hineinge-
sehen wird.
BLICKWECHSEL II
Die Implikationen der Verbindung der beiden
Bildnisse mit dem Medusa-Mythos jedenfalls
sind verlockend: Ist es doch ein Leichtes, im
Haupt der Gorgo, das dem im Verlauf der my-
thischen Erzählung erneut in Bedrängnis gera-
tenden Helden dabei half, seine Widersacher
zu besiegen, ein Symbol für die Kamera zu se-
hen.12 Wie eine Kamera ließ das Gorgonenhaupt
in der Hand des Perseus alle, die es anblickten,
blitzartig erstarren und zu dreidimensionalen Bildern werden. Und in der Tat findet man in
der Geschichte und Theorie der Photographie
die Auseinandersetzung mit Medusa, wird also
deren Schicksal zu einem Gründungsmythos der
Photographie, wobei insbesondere das Mortifi-
zierende und Entstellende der photographischen
Aufnahme zur Sprache gelangt.13
Auch ein Bezug zu Warhol läßt sich leicht
herstellen: Die Big Shot-Polaroidkamera war
neben Filmkamera und Kassettenrecorder eines
12 Wie auch der Mythos für die Macht der Bilder überhaupt steht, man denke etwa an die Darstellungen von
Caravaggio und Rubens. S. hierzu Louis Marins Analyse des Repräsentationsdispositivs von Caravaggios Medusa.
Marins Deutung dieses Dispositivs als vielschichtiges topologisches Spiel der Grenze war für die Entwicklung der
hier vorgeschlagenen Interpretation von Warhols Selbstbildnissen grundlegend. Wichtig sind ebenso seine Refle-
xionen über „Der enthauptende/enthauptete Maler“. Vgl. L. Marin, Die Malerei zerstören, Berlin 2003, bes. S.
157 ff. u. S. 180 ff. Gerhard Wolf sieht die Darstellung der Gorgo als Gegenmodell zur Vera Ikon. Während mit der
Vera Ikon die compassio des Betrachters eingefordert wird und somit eine Identifikation mit dem Bildgegenstand,
werde im Bild der Medusa die Furcht vor der Verschmelzung und Identifikation mit dem Anderen offenbar, G.
Wolf, Schleier und Spiegel. Traditionen des Christusbildes und die Bildkonzepte der Renaissance, München 2002,
S. 345–350. Zu Perseus’ „medusierendem“ Einsatz der Gorgo als Waffe, s. Ovid, Metamorphosen (zit. Anm. 6), 4.
Buch, S. 217–229 u. 5. Buch, S. 233–249.
13 Vgl. B. Busch, Belichtete Welt. Eine Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie, Frankfurt am Main 1995, S. 274
ff. u. S. 311. Walter Benjamin hat den durch die Photographie mitverantworteten „Verfall der Aura“ am Mangel
einer Erwiderung des Blicks desjenigen, der in die Kamera blickt, um sich ablichten zu lassen, festgemacht. In der
Blicklosigkeit des Apparates sah Benjamin „das Unmenschliche, man könnte sagen Tödliche“, das vor der Daguer-
rotypie empfunden werden mußte. W. Benjamin, Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapita-
lismus, Frankfurt am Main 1974, S. 140 f., hier S. 141. Rosalind Krauss berührt den Mythos der Medusa nur kurz,
auf Freuds Abhandlung „Das Medusenhaupt“ verweisend, in einem Aufsatz zu Surrealismus und Photographie
in Zusammenhang mit der Diskussion des Traumas, R. Krauss, Corpus Delicti, in: dies., Das Photographische.
Eine Theorie der Abstände, München 1998, S. 193. Auch Roland Barthes sprach – ohne jedoch explizit den Mythos
der Medusa zu nennen – von der „abtötenden Macht“ der Photographie und von dem „vom Schrecken gebann-
ten Photograph[en]“, der sich vergeblich bemüht, seine Modelle durch den Akt der Porträtaufnahme nicht zu
mortifizieren. R. Barthes, Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Frankfurt am Main 1989, S. 19, S.
23 f. Philippe Dubois liefert die genaueste Auseinandersetzung mit dem Mythos und seinen epistemologischen
Implikationen im Zusammenhang mit der Photographie, s. P. Dubois, Der fotografische Akt. Versuch über ein
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur