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kop – keine neuen Details zu Tage brachte, son-
dern einfach alles proportional aufblähte, könnte
man sagen, daß die Darstellung des Motivs we-
niger dicht wurde. Während sich das Motiv in
der materiellen Oberfläche des Bildes aufzulösen
begann, wurde das Medium in seiner materiel-
len Bedingtheit um so greifbarer. Dies wurde
zusätzlich dadurch gesteigert, daß bewußt Fehler
im Sieb stehen gelassen und Kontraste verstärkt
wurden, so daß die Repräsentation als solche be-
tont wird und die mimetische Kraft gleichzeitig
abnimmt. Die Offensichtlichkeit aller bildneri-
schen Eingriffe führt dazu, daß ihre Wirkungen
nicht mehr dem „künstlerischen Ausdruck“ des
Dargestellten zugeschrieben werden müssen,
sondern vom Betrachter immer auch als Effekte
der Bildmanipulation gesehen werden können.
Auch Warhols Eingriffe in das Aufnahme-
dispositiv offenbaren sich dem Betrachter als In-
szenierung. So wurden viele der Auftragsporträts
der 1970er Jahre von den Kunden abgelehnt, ver-
mutlich, da sie mit den extremen und oft grob-
schlächtigen Veränderungen, denen ihr Bildnis
im Arbeitsprozeß unterworfen wurde, nicht ein-
verstanden waren.18 Wie Mitarbeiter der Facto-
ry berichten, begann die Verwandlung ins Bild
schon damit, daß die Modelle, oft von Warhol selbst, stark geschminkt und zurecht gemacht
wurden. Die jüngste Forschung hat Warhols Be-
streben, eine fiktive Identität für seine Modelle
zu fabrizieren, mit Hilfe von Gilles Deleuze und
Félix Guattaris Konzeption der machinistisch
produzierten Subjektivität gedeutet, in der der
Anspruch des Gesichts auf Signifikanz radikal
ausgehöhlt und statt dessen die Geschichte sei-
ner Erschaffung erzählt wird.19 Dadurch, daß das
Gesicht zum „konstruierten Objekt“ wird, kann
es aufgrund der dabei angestrebten Abstraktion
als Schirm für die Projektionen des Betrachters
dienen. Auch sich selber unterwarf der Künstler
dieser Prozedur, wobei die Schminke sein Ge-
sicht zugleich verbarg und herausstellte. In einer
Photo serie von Selbstbildnissen in Frauenklei-
dern überschritt Warhol ironisch provozierend
die gesellschaftlichen Normen der Identitäts-
konstruktion, so daß anschaulich wird, daß die
eigene Identität an performative Akte gebunden
ist. Da sich Warhols Selbstinszenierungen jedoch
wiederum an stereotypen weiblichen Schönheits-
idealen orientieren, bringen sie die selbst erschaf-
fene Identität, die zugleich als geschlechtlich
nicht fixierte gezeigt wird, paradoxerweise wieder
zur Erstarrung.
18 N. Baume, About face: Andy Warhol portraits, Ausstellungskatalog, Hartford (Conn.), Wadsworth Atheneum,
23.09.1999–30.01.2000, Miami (Florida), Art Museum, 24.03.2000–04.06.2000, Cambridge, 1999, S. 96. Die spä-
ten Arbeiten der 1970er und 1980er Jahre übergeht beispielsweise R. Crone, Form and Ideology: Warhol’s Tech-
niques from Blotted Line to Form, in: G. Garrels (Hrsg.), The Work of Andy Warhol, Seattle 1989, S. 70–92. An-
dere, etwa Thomas Crow, kritisierten Warhols Rückkehr zur Malerei und unterscheiden zwischen einem kritischen,
„guten“ Warhol der 1960er Jahre und einem korrupten Warhol der 1970er und 1980er Jahre, wie schon Paul Mattick
in seiner Diskussion der Literatur zu Warhol beobachtet hat. P. Mattick, The Andy Warhol of Philosophy and the
Philosophy of Andy Warhol, in: Critical Inquiry, 24, 1998, S. 965–987, hier S. 975. Doch ist festzuhalten, daß die
„abstrakten“ Arbeiten der 1980er Jahre auf dem Kunstmarkt und in der Kritik wiederum positive Resonanz fanden.
19 Baume, About face (zit. Anm. 18), S. 89–91. J. W. Smith, Hollywoodstars und edle Wilde. Andy Warhols Pho-
tosammlung, in: Heinrich, Andy Warhol (zit. Anm. 16), S. 27. Zu Deleuze und Guattari, s. N. Suthor, Gilles
Deleuze – Félix Guattari: Das Gesicht ist Politik, in: R. Preimesberger/H. Baader/N. Suthor (Hrsg.), Porträt.
Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2, Berlin 1999, S. 464–477.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur