Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Seite - 196 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 196 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX

Bild der Seite - 196 -

Bild der Seite - 196 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX

Text der Seite - 196 -

IRIS wIEN196 bediente sich der Künstler eines Negativs. In all diesen Fällen führt die Verwendung des Negativs zu einer extremen Verfremdung, erhalten die Ge- sichter einen maskenartigen Eindruck, ob es sich nun um das Gesicht von Sidney Janis, das der Mona Lisa (Sixtythree White Mona Lisas, 1979) oder von Marilyn Monroe (Onehundred and fifty black/white/grey Marilyns, 1979) handelt. Doch während Warhol mit der Hell-/Dunkel-Umkeh- rung im Porträt von Sidney Janis aufgrund der Beleuchtung von unten, die die große Nase des lächelnden Sammlers und Galeristen hervorhebt, einen komischen Effekt erzielt und die serielle Repetition der Mona Lisas und Marilyns den Porträtcharakter der Darstellung zurücknimmt und so das Unheimliche des Negativ-Verfahrens nur noch unterschwellig anklingen läßt, tritt es dem Betrachter der beiden kleinen Warhol’schen Selbstbildnisse ungebrochen entgegen. Die im Negativ begründete Verfremdung des Gesich- tes geht hier so weit, daß es mit seinem starren Blick völlig fremdartig wird. Die Gesichts-Maske verschmilzt mit dem goldenen bzw. silbernen Fond der beiden Bilder, da die Helligkeitswerte des Siebdruckmotivs diesem entsprechen. Weil Pupillen und Mund somit wie Löcher wirken, scheint das Gesicht keinen Körper zu besitzen. Es geht vollkommen in der Oberfläche des Bil- des auf. Diese Maske verbirgt nichts, sondern fällt im Bereich der Gesichtsöffnungen mit dem Bildgrund in eins. Sie hat keinen eigenen Träger und so tut sich an der Stelle der Referenz auf ein Selbst, das hinter und mit der Maske agieren könnte, eine Leerstelle auf. Mit einem solchen Gesicht scheint weder Selbstsicherung noch Selbstbefragung möglich zu sein – gängige Auf- gaben von Selbstbildnissen.22 Warhol hebt die traditionelle Grundproble- matik des Selbstbildnisses auf, die darin bestand, daß der Künstler sich selbst nie so sehen konn- te, wie ein anderer ihn sah. Bei der Reflexion auf sich selbst war er auf Spiegel und andere Ver- mittlungsinstanzen angewiesen.23 Indem Warhol auch bei allen anderen Darstellungsgegenständen auf vermittelnde Instanzen wie Photographien oder Reproduktionen aus den Printmedien zu- rückgriff und somit generell auf eine unmittel- bare Aneignung der Wirklichkeit verzichtete, stellte sich für ihn die von Sartre, Merleau-Ponty, Lacan und anderen thematisierte Grundproble- matik der Fragilität der Identität auch bei der Arbeit an einem Selbstbildnis nicht. Doch für ei- nen Betrachter, der auch nach den Diskussionen der Post-Moderne weiterhin von solchen Fragen berührt bleibt und im Selbstbildnis Warhols nicht einfach ein Warhol-Motiv unter anderen sieht, sondern – wie der Titel auch indiziert – ein Selbstbildnis des Künstlers sehen möchte, stellt sich dies anders dar. Für einen solchen Betrachter wird die negative Umkehrung der Porträtphoto- graphie des Künstlers beunruhigender sein als ein Negativbild eines Kuhtorsos (so etwa Two green cows, 1979) und das Verhältnis von Gesichts- Motiv zur monochromen Bildfläche Fragen auf- werfen, die sich bei den übrigen Warhol-Motiven so nicht stellen. Die unheimliche Qualität der beiden kleinen Selbstbildnisse jedenfalls hat mich anders als die bisherige Forschung nicht an Christusikonen oder das Schweißtuch der Hl. Veronika denken lassen.24 Zwar spielt auch 22 Zum Gesicht als Bild, dessen Mimesis sich erst in einer offen-dynamischen Gesichtsarbeit vollzieht und so Identität erzeugt, s. H. Belting, Gesicht und Maske, in: Hoppe-Sailer/Volkenandt/Winter, Logik der Bilder (zit. Anm. 10), S. 123–134, hier S. 131 u. S. 133. 23 Vgl. hierzu Boehm, Bildnis (zit. Anm. 10), S. 232 f. und Boehm, Der blinde Spiegel (zit. Anm. 10). 24 Elger, Die beste Amerikanische Erfindung (zit. Anm. 3), S. 94–109, hier S. 109. Dabei kann das Sudarium, das Veronika der Überlieferung nach Christus auf dem Weg nach Golgota reichte, um Schweiß und Blut abzuwischen, und auf dem sich so ein Gesichtsabdruck eingeprägt hatte, mit der Photographie, die gleichsam ohne die eingrei- fende Hand des Menschen Bilder entstehen läßt, verglichen werden. Daß auch die Vera Ikon, die in schriftlichen Quellen bezeugt, aber für die Gläubigen nicht sichtbar war, letztlich eine Projektionsfläche ist, hat Christiane Kruse
zurück zum  Buch Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX"
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band
LIX
Herausgeber
Bundesdenkmalamt Wien
Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch, englisch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78674-0
Abmessungen
19.0 x 26.2 cm
Seiten
280
Schlagwörter
research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte