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One Dollar Bills von 196227 wird dies motivisch
und bildstrukturell unmittelbar anschaulich.
Wie Martina Dobbe gezeigt hat, ruft das durch
die Repetition der reproduzierten Dollarschei-
ne erzeugte Übermaß an Redundanz anders als
bei Gertrude Steins Gleichsetzungsnominativen
keinen semantischen Verdacht mehr hervor.
Mit der Reduktion auf die Wiederholung eines
gleichbleibenden Bildes wird bei Warhol die syn-
tagmatische Dimension preisgegeben, welche bei
Gertrude Steins affirmativer Bekräftigung des
Identitätsprinzips noch einen ästhetischen Spiel-
raum der Differenz eröffnete, so daß der Betrach-
ter der tautologischen Struktur der Werke nicht
entrinnen kann.28 Mit einer solchen künstleri- schen Haltung scheint aber auch jede ästhetische
Botschaft und also die Kommunikationsfunkti-
on von Kunst aufgegeben zu sein.
Unter dieser Prämisse ist es sinnlos, der In-
terpretation von Warhols Selbstbildnissen als
Medusa durch den Hinweis auf verwandte Moti-
ve und Themen im Werk des Künstlers Validität
verleihen zu wollen. Im Fall der beiden kleinen
Selbstbildnisse von 1986 könnte deren Interpre-
tation als Medusa mit dem Hinweis darauf ge-
stützt werden, daß Warhol schon früh Gewalt
und indirekt traumatische Erfahrungen in seinen
Werken thematisierte. Um auf die Problematik
des Sehens und seine psychologischen Implikati-
onen zu kommen, könnte seine frühe Selbstbild-
niszeichnung mit verborgenem Gesicht gezeigt
werden (Abb. 4). Auch der Hinweis auf seine
Desaster-Serie dürfte nicht fehlen, in der Warhol
Gewalt, Tod und ihre massenmediale Vermitt-
lung vor Augen führt. Hal Foster erinnerte die
Wiederholung der Schock-Bilder der Desaster-
Serie an die obsessive Rückkehr traumatischer
Ereignisse, wobei er betont, daß Warhols Werke
nicht Symbol für ein erfolgreich verarbeitetes
Trauma seien, sondern solche traumatischen
Wirkungen sowohl reproduzieren wie auch im
Betrachter hervorrufen.29 Warhols Insistieren
auf der Gleichwertigkeit aller Bildmotive könnte
mit dem Hinweis auf die Massenmedien erklärt
werden, wo ganz unterschiedliche Bilder: banale
ebenso wie schockierende, starke wie schwache
Bilder, unvermittelt aufeinandertreffen. Eventu-
ell könnte auf die Gewalt hingewiesen werden,
die von massenmedial vermittelten Schönheits-
idealen und somit von Bildern ausgeht, deren
Internalisierung so weit gehen kann, daß das
eigene Äußere mittels Schönheitsoperation
angepaßt wird. Nicht fehlen dürfte in diesem
4: Andy Warhol, Self-Portrait, 1950er Jahre, Tusche auf Pa-
pier, 27,9 x 21,6 cm, The Andy Warhol Museum, Pittsburgh,
Founding Collection, Contribution The Andy Warhol Foun-
dation for the Visual Arts, Inc.
27 Vgl. bspw. das Werk in der Sammlung Marx, Berlin.
28 M. Dobbe, Große Realistik – Große Abstraktion. Andy Warhol in der (Trans-) Ästhetikdiskussion bei Baudrillard
und Lyotard, in: dies., Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte,
München 2007, S. 155 ff.
29 H. Foster, Death in America, in: October 75, 1996, S. 42.
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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur