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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Seite - 203 -
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eIN pOP-KÜNSTLER ALS mEDUSA? 203 Die hier angedeuteten reflexiven Momente im Spätwerk Warhols zeigen: Alle Versuche, die bildnerischen Verfahren Warhols entweder als kritische Destruktion einer bürgerlich-kapitalis- tischen, auf die Autonomie des Werks ausgerich- teten Kunstpraxis oder aber als Zeugnisse eines zynischen, nihilistischen Bewußtseins und bloßer Affirmation der Konsumgesellschaft zu deuten, müssen die Werke selbst verfehlen. Sie nehmen ihre paradox-tautologische Struktur nicht zur Kenntnis, die sie einer solchen eindeutigen In- terpretation gerade entziehen. Die von der For- schung immer wieder aufgeworfene Frage nach der Intentionalität muß, wie ich meine, auch bei einem Künstler wie Warhol, der mit seinen stan- dardisierten Bildverfahren jede persönliche Hand- schrift vermeiden wollte, zuallererst auf die ästhe- tische Struktur der Werke selbst bezogen werden und nicht auf die wie auch immer vorgestellte Persönlichkeit des Künstlers – seine politische, medienkritische oder soziale Haltung. Anstatt da- nach zu fragen, welche Intentionen der Künstler mit seinen Werken verfolgte, kann dann die Frage treten, in welcher Weise das Werk den Betrachter disponiert, d. h. nicht nur im räumlich-perzepti- ven, sondern auch im imaginären Sinne verortet.42 Wie bei den Rorschach-Bildern ist auch bei den beiden Selbstbildnissen das von ihnen in Gang gesetzte Bild-Dispositiv in den Blick zu nehmen und bei der Interpretation nicht allein auf das Verhältnis des Bildes zu seinem Referen- ten einzugehen. Es reicht somit nicht aus, das Werk nur diegetisch in Bezug zu seinen mög- lichen Referenten (der Künstler, Medusa, der Künstler als Medusa, Perseus) zu interpretieren und dabei auf die möglichen materiellen und so- zialen Anteile der Bildproduktion zu verweisen. Aufgrund der Wirkmächtigkeit der diskutierten Selbstporträts ist diese Distanzierung und damit eine extradiegetische Interpretation, die die eige- ne Situation vor dem Bild mit in die Betrachtung einbezieht, allerdings schwerer zu erlangen als bei den Rorschach-Bildern. In den Selbstbildnis- sen sieht der Betrachter den eigenen Blick von einer totenähnlichen Gesichtsmaske erwidert. Während Louise Lawler in Statue before Painting von 1983 (Abb. 7) die gesamte Gemäldeabteilung des Metropolitan Museum of Art dem Blick von Canovas Medusa unterwirft und somit das von ihr verwendete Dispositiv der Photographie für den Betrachter zugleich im Photo sichtbar macht, setzt Warhol den Betrachter der beiden Selbstbild- nisse diesem versteinernden Blick aus. Emotional überwältigt, läuft man vor Warhols Selbstbildnis in Fright-Wig Gefahr selbst zu erstarren, zum Bild zu werden und zu verstummen. Erst wenn man sich der direkten, frontalen Konfrontation mit den Bildnissen und damit ihrer unmittelbaren Wirkung entzieht und eine Rezeptionshaltung einnimmt, die eher derjenigen in einer Installa- tion, in welcher sich der Betrachter losgelöst von einzelnen Objekten frei bewegen kann, annähert, entkommt man dem tautologischen Sog dieser Bilder. Eine solche Annäherung, bei der der Be- trachter gleichsam den für ihn vorgesehenen Platz vor dem Bild leer beläßt bzw. lateral umgeht, könnte mit Perseus’ Annäherung an die schlafen- de Medusa verglichen werden.43 In Warhols klei- RÜCKBLICK UND BLICKWENDE 42 Ich schließe hier an den von M. Foucault in seiner Analyse von Machtbeziehungen entwickelten Begriff des Dis- positivs an (siehe v. a. ders., Ein Spiel um die Psychoanalyse. Gespräch mit Angehörigen des Département de Psy- choanalyse der Universität Paris VIII, Vincenne“, in: ders., Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 119 ff.). In der Kunstwissenschaft wurde Foucaults Dispositiv-Begriff vor allem für die Analyse von Blickregimen und Wahrnehmungsarrangements seit der Moderne fruchtbar gemacht. Vgl. hierzu den Überblick von S. Siegel, Foucault-Rezeption in den Kunst- und Bildwissenschaften, in: C. Kammler/R. Parr/U. J. Schneider (Hrsg.), Foucault Handbuch, Stuttgart 2008, S. 434-438. Auch Louis Marin nutzt den Begriff zur Analyse von Strategien der Repräsentation, bes. Marin, Die Malerei zerstören (zit. Anm. 12). 43 Vgl. a. Marins Abschnitt Strategie der Analyse – mythische List, in: Marin, Die Malerei zerstören (zit. Anm. 12), S. 157–170.
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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band
LIX
Herausgeber
Bundesdenkmalamt Wien
Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch, englisch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78674-0
Abmessungen
19.0 x 26.2 cm
Seiten
280
Schlagwörter
research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur
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