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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Seite - 222 -
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BRIEFE von Johannes Wilde AUS wIEN, juni 1920 bis februar 1921222 bei Dvořák14 wegen meines Ausweises, während- dessen schreibe ich und beeile mich den Brief abzuschicken. Wir haben ein großartig kühles Wetter ohne Regen, ich habe die ganze Nacht geschlafen wie ein Bär. Ich lebe sonst auch gut – werde gestopft wie ein junges Schwein. Am er- sten Abend und gestern Mittag aßen wir zu Hau- se, gestern hatte ich Jause und Abendessen bei Juliska15, sie hat von zu Hause eine riesen Pick16 bekommen, weil Ernesta einen Verteiltag hatte. Das ist eine äußerst interessante Angelegenheit. Mikula verfügt über große Geldsummen auf Grundlage gegenseitigen Vertrauens. Wer etwas von ihr bekommt, unterschreibt eine Bestätigung und damit ist es erledigt. Aus der Mittelklasse kommen zu ihr durch Vermittlung persönlicher Bekannter arme Leute (Lehrer17 etc.) und sie gibt sofort. Sie ist so eine gesegnete Person. Daß sie mir Gutes zukommen lassen kann, ist reine Freude für sie. Ich bin ein großer Herr. Sie gab mir ihr eige- nes Bett und Zimmer, weil das kleine, das meins hätte werden sollen, voll mit Liebesgaben18 ist und vorübergehend schläft sie dort. Ernesta machte ein paar Fotoaufnahmen von Mikula, ich werde einige davon schicken. Was das Elend ausmacht. Ich dachte immer, daß sie wesentlich älter sei als Ernesta, obwohl sie drei Jahre jünger ist. Obwohl, jetzt da sie halbwegs ihr altes Äußeres zurückbe- kommen hat, hat sie sich so verändert, daß ich sie kaum erkenne. Sie lieben einander sehr. Ernesta hat sich auch sehr verändert. Er ist dick, breit und kräftig. Er ist noch braun vom Wachau-Ausflug. Da er so kräftig ist, kann Mik[ula] eine Entwöhnungskur19 ohne sein Wissen beginnen. Sie mischt zum Medikament immer mehr Wasser; binnen drei Monaten ist sie so weit gekommen, daß es jetzt zu 2/3 aus Was- ser besteht, nur der Rest ist die Lösung. Das half objektiv sehr viel, aber von Zeit zu Zeit kommt ein Rückschlag, wenn E[rnesta] Verdacht schöpft oder in Verzweiflung verfällt, daß nicht einmal das Gift ihm hilft. Als ich ankam, gab es gerade seit zwei Tagen eine solche Periode, heute ist er aber schon sichtlich ruhiger und fröhlicher. Sei- ne Dissertation20 – zwei Riesenbände ohne Fo- tos – ist noch bei Szigo21, er war noch nicht bei ihm, um nachzufragen. Dvořák ist sehr gut, er ist selbst zu Szigo gegangen und zu Reisch22, um sie im Interesse von E[rnesta] zu bearbeiten, so daß, als E[rnesta] bei Reisch erschienen ist, ihn dieser damit empfangen hat, daß er ihm alle Vor- bereitungen verbietet. Vielleicht wird Dv[ořák] zu mir auch nicht schlechter sein. Benesch23 ist in Schweden und ist angeblich unglücklich. Viele Grüße von Mikula, Ernesta und Juliska. Ich warte ungeduldig, ob bis Sonntag ein Brief von zu Hause ankommt, meiner sollte bis dahin dort sein. Einen Boykott wird es offen- bar doch geben, aber ohne den Personenverkehr einzustellen. So werden wir weiterhin Wege fin- den, Nachrichten zu übermitteln, hauptsächlich 14 Max Dvořák (1874–1921), ab 1909 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien. 15 Júlia Gyárfás (1895– 1970), Kunstgeschichtestudentin. Sie war 1919 mit Wilde an der Arbeit des Kunstdirektoriums der ungarischen Räterepublik mitbeteiligt. Ab 1930 Ehefrau von Johannes Wilde. Siehe unter „Wilde, Julia“ in: U. Wendland, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, München 1999. 16 Pick-Salami. 17 Margit und Ferenc Wilde sind in Budapest Mittelschullehrer. 18 Deutsch im Original. 19 Deutsch im Original. 20 Mit dem Titel Untersuchungen über deutsch-gotische Plastik. 21 Josef Strzygowski (1862–1941), ab 1909 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien. 22 Emil Reisch (1863–1933), ab 1894 Professor für klassische Archäologie an der Universität Wien. 23 Otto Benesch (1896–1964), Kunstgeschichtestudent. Benesch hielt sich während der Räterepublik in Budapest als Berater des Kunstdirektoriums auf. Siehe u.a. Wendland, Biographisches Handbuch (zit. Anm. 15).
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Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band
LIX
Herausgeber
Bundesdenkmalamt Wien
Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch, englisch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78674-0
Abmessungen
19.0 x 26.2 cm
Seiten
280
Schlagwörter
research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
Kategorie
Kunst und Kultur
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