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BRIEFE von Johannes Wilde AUS wIEN, juni 1920 bis februar 1921 229
durch seine Zwillingsschwester71 befreit wurde.
Tolnai72 wurde an der Universität Leipzig nicht
aufgenommen, er geht nach Frankfurt. Heu-
te ist es auf einmal sehr kalt geworden. Zum
Glück konnte eine von Nickchen Betreute so viel
Heizmaterial besorgen, daß wir auch heute wel-
ches haben. Es ist gut, daß die guten Menschen
Mikula nicht verlassen haben. Diese Frau ist je-
den Tag hier und erledigt mit Juliska alles, was zu
tun ist. Ich weiß nicht, was ohne sie wäre.
Jetzt schreibe ich nicht weiter, so daß ich die-
sen Brief sofort aufgeben kann, dann laufe ich
in den Apparat73. Eine Zeit lang, bis es Mikula
besser geht, müssen wir uns durch die Schwie-
rigkeiten durchlavieren; dann muß man Ernesta,
im Interesse beider, ins Sanatorium schicken,
damit hier die Ruhe wiederhergestellt wird. Gut
ist, daß meine Gesundheit jetzt so großartig ist,
jeder hier meint, ich habe noch nie so gut aus-
geschaut. –
Ich grüße Kálmán mit viel Liebe. Meine
Nachricht für ihn kann ich jetzt nicht mehr hier
herschreiben, das nächste Mal. Mumisika soll auf
sich in dieser Kälte aufpassen, Tyumpika auch.
(Hier wird es angeblich heuer keine Heizungsfe-
rien geben). Ich grüße die Cserebulyi von Dudó,
gibt es eine Laeri Bogem74 darunter?
Unzählige Küsse
Bun [20151/1979/3175/6]
Mikula möchte, daß Jancsika weiter nach
den Diamanten fragt. Arme Jancsika mit den
neuen Verhandlungen!
[5. Februar 1921] Samstag, Nachm[ittag]
Liebe gute Zuhauser (Ich schreibe während
der Beteilung76, ich muß ständig aufspringen,
deshalb verwirrt.)
in der Früh ist Dudós Antwort auf meinen
Brief vom Dienstag angekommen. Und das hier ist
die Ankündigung eines Ausflugs nach Grusbach:
morgen Nachmittag reisen wir mit Dvořák und
Khuen in die Faschingsferien (Dv[ořák] bleibt
acht Tage, ich weiß noch nicht, wie lang, ich
bringe Arbeit mit.) Dv[ořák] hat mich bedrängt,
daß ich mitfahre, Guby hat mir telegraphisch
mitgeteilt, als er noch nicht wußte, daß ich zu-
rückkam, daß ich [in Grusbach] bleiben soll. Es
ist aber sehr gut, daß ich hier war, weil ich einen
Haufen Sachen erledigen konnte – nur diese paar
Tage waren jetzt sehr, sehr gehetzt. Das Wetter ist
entsetzlich, es ist keine Freude, in Wien zu sein.
(Ein weiterer Tiefpunkt ist, daß Mikula nächste
Woche die Küche ausmalen läßt, und so wird es
ein großes Durcheinander geben.) Den ganzen
gestrigen Vormittag habe ich bei der Witwe von
Riegl verbracht, wir haben den handschriftlichen
Nachlaß durchgeschaut.77 Es war sehr ergreifend,
ich werde darüber aus Grusbach schreiben. Heute
Vorm[ittag] waren wir mit Dv[ořák] im Hofmu-
seum78, um zu bestimmen, welche Ausschnitte79
in Originalgröße ins Bruegel-Werk80 kommen
71 Noémi Ferenczy (1890–1957), Gobelinkünstlerin.
72 Károly Tolnai (1899–1981), Kunstgeschichtestudent, lebte ab 1919 im Ausland. Siehe Wendland, Biographisches
Handbuch (zit. Anm. 15).
73 Institut für Kunstgeschichte im Hauptgebäude der Universität.
74 Schwer lesbar und unverständlich; evtl. geht es um Kinder, die von Ferenc Wilde betreut werden.
75 Richtig: 32.
76 Deutsch im Original. Gemeint ist die „Verteilung“ durch Ernesta und Mikula.
77 Wilde hätte im Auftrag Dvořáks die kleineren Schriften von Riegl herausgeben sollen. Vgl. A. Riegl, Gesammelte
Aufsätze, K. M. Swoboda (Hrsg.), mit einem Vorwort von Hans Sedlmayr, Augsburg 1929.
78 Das heutige Kunsthistorische Museum.
79 Deutsch im Original.
80 Deutsch im Original. Vgl. M. Dvořák, Pieter Bruegel der Ältere. Siebenunddreißig Farbenlichtdrucke nach seinen
Hauptwerken in Wien und eine Einführung in seine Kunst, Wien 1921.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur