Seite - 254 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
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geführt werden, die für eine Agitatorenschule zu
schlecht sind.
Ich glaube wir müssen zu Ihrem Prinzip
aus Ihrem Sommerbrief zurückkehren, dass
ich damals mit Freude begrüsst habe: uns wis-
senschaftlich auseinanderzusetzen und unsere
politischen (und nicht nur politischen) Ueber-
zeugungen zu respektieren. Ich respektiere die
Ihrige (obwohl ich meine, dass sie auf einer
falschen Theorie aufgebaut ist) und Sie respek-
tieren die meinige, obwohl Sie Ihnen fremd
(unverständlich) ist. Wir können uns politisch
bekämpfen, aber nicht erniedrigen und ver-
schimpfen. Und gleiches Recht für beide!
Nun zum Wissenschaftlichen. Da haben
wir beide Bedenken gegen die Position des An-
deren. Sie finden in meiner Widersprüche. Das
ist möglich. Aber wer wäre ganz frei von sol-
chen? Sie müssen nur überzeugt sein, daß ich
mit aller Kraft versuche, diese Unstimmigkeiten
vernünftig aufzulösen. Ich ersuche Sie, mit
Ihrem Urteil zuzuwarten bis mein Versuch über
die ‘Architektonischen Systeme’ erschienen ist.
Ich habe Bedenken, ob es bei Ihnen zu einer
echten Kunstgeschichte (über eine blosse formal-
Stilgeschichte hinaus) kommen wird. Ich stütze
mich bei diesem Urteil auf Ihre Geringschät-
zung der Mikroskopie und auf Ihren Begriff
des Soziologischen, der mir ein Hineintragen
moderner Kategorien in die Vergangenheit zu
implizieren scheint. Die Feststellung, dass Sie
ein namhafter Maler sind entkräftet diese An-
sicht nicht nur nicht, sondern bestätigt sie eher.
(Ich hatte Ihnen ein Verständnis der modernen
Kunst ausdrücklich zugebilligt). Hier kehrt sich
Ihr eigenes Argument vom ‘madman’ gegen Sie.
Trotz dem ist es möglich, dass ich mich täusche.
An Ihren Werken werden wir Sie erkennen.
Infolgedessen stelle ich mir auch unter einer
historischen Soziologie der Kunst etwas Anderes
vor als Sie –
Aufrichtig
Hans Sedlmayr Schapiro seems frustrated that Sedlmayr will not
come out and say directly that he is a National
Socialist; Sedlmayr in turn says he concealed his
political position because he was afraid that it
would have precisely this result. He says again,
and more clearly now, that Schapiro is jump-
ing to an unwarranted conclusion since there
is no single party that corresponds to his posi-
tion (Sie verstehen meine Position nicht; sie ist aber
nicht weniger fest und deutlich, weil ich sie nicht
nach den Koordinaten eines bestehenden Parteipro-
gramms bezeichnen kann). Multiple references
to Schapiro’s “affective” tone and irrational
reasoning show Sedlmayr is disturbed by the
storm he has unleashed though he seems naïve
in his hope that he has not offended Schapiro.
He declines a discussion of their political differ-
ences because he does not believe it possible. So
he proposes that they respect each other’s posi-
tions: he is, however, immediately unable to do
so. When he says: Ich respektiere die Ihrige - he
adds in parentheses: obwohl ich meine, dass sie auf
einer falschen Theorie aufgebaut ist […]. So when
he then asks Schapiro that Sie respektieren die
meinige, he acknowledges obwohl Sie Ihnen fremd
(unverständlich) ist, implying that his position is
not based on a false theory. So the further ground
rules he sets, he has already violated: Wir können
uns politisch bekämpfen, aber nicht erniedrigen
und verschimpfen. Und gleiches Recht für beide!
Sedlmayr admits that Schapiro may
be right also about their scientific differences:
that Schapiro is skeptical about the “micro-
scopic” view, that they have different concep-
tions of history. Schapiro has expressed himself
on Sedlmayr’s architectural system (this likely
refers to the work on the Justinian period which
Schapiro would try to dismantle in the review).
For his part Sedlmayr trots out an argument that
would be one of the bases of Verlust der Mitte,
and to which he alluded already in the previous
letter: namely that Schapiro cannot really under-
stand art (earlier he said that these were not times
in which art could be understood).
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur