Seite - 255 - in Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band LIX
Bild der Seite - 255 -
Text der Seite - 255 -
sedlmayr and schapiro correspond 255
Two months later (4 April 1935) Sedlmayr
writes his last letter as a response to Schapiro’s
call for an end to their correspondence. The tone
on both sides is emotional, angry, intolerant. Yet
while Sedlmayr concurs that the conversation
cannot continue, by the end of the letter he is
still proposing approaches to the conversation,
on the condition that it be free of emotion. His
string of postscripts shows his difficulty closing
the door on Schapiro:
Ihre Empfindung, dass Sie kaum mehr den Mut
aufbringen, die Diskussion fortzusetzen, teile
ich ganz und gar, denn es ist meine eigene.
Wenn man jemanden auffordert ‘aufrichtig’
zu sein, so muss man dies Aufrichtigkeit auch
anhören können. Sie aber versuchen seither
(vielleicht Ihnen selbst unbewusst), das was Ih-
nen unangenehm war, zu degradieren, indem
Sie Ihrem unvermuteten Gegner die intellek-
tuellen und moralischen Eigenschaften herab-
setzen.1
1 zum Bespiel, indem Sie die Tatsache, dass
das Judentum seit Jahrhunderten keinen Bau-
ernstand in dem Sinn wie die anderen Völker
besitzt, einfach als ‘nonsense’ abtun.
Sie geben jedem meiner Sätze, jene Deu-
tung, die ihn unmöglich macht, so dass Sie
dann ‘auf einen solchen Unsinn gar nicht mehr
einzugehen brauchen.’2
2 zum Beispiel indem Sie mich, den Juden
für den geborenen ‘bäsen’ Kapitalisten erklären
lassen.
(ich sage das ohne Affekt, rein als Beschrei-
bung Ihrer Methode). Dadurch wird die Dis-
kussion für Sie uninteressant (‘mit so einem bor-
nierten Reaktionär kann man nicht sprechen’)
und für mich zu einer harten Geduld- und
Beherrschungsprobe. – (Leider diffundiert diese Ihre Haltung auch auf Teile der Diskussion, die
früher neutral waren. Sie versuchen auch da,
mit einer ganz überflüssigen Heftigkeit das zu
entwerten (bekannter Mechanismus!), von dem
Sie annehmen, dass ich positiv dazu stehe. Dies-
mal allerdings irrtümlich, den ich finde Ihre
Kritik von Herrn Pol Abraham in den Haupt-
punkten vollkommen richtig.)56
Der Ausweg wäre, dass Sie mir die intel-
lektuellen und ‘moralischen’ (wenn Sie wollen)
Qualitäten auch weiterhin kreditiere, die Sie
seinerzeit bewogen haben, den Briefwechsel mit
mir zu suchen und weiterzuführen. Sie müssten
sich dann ernstlich fragen, wie man trotzdem
(und in welchem Sinn man) eine antijüdische
Haltung einnehmen kann, mit welchen ver-
nünftigen Argumenten und aus welchen mo-
ralisch möglichen Motiven. (Etwa wie ein Volk
in einer bestimmten historischen Lage durchaus
begründet und mit allem Recht, aber ohne Ge-
hässigkeit und ohne die Qualitäten des Gegners
zu verkennen eine antideutsche Politik betrei-
ben kann.) Mit der Zulassung dieser Frage
würde die Diskussion wieder einen möglichen
Sinn bekommen – nicht den eines Kompromis-
ses, oder auch nur einer ‘Verständigung,’ aber
vielleicht den einer neuen Erfahrung. Sie wür-
den dabei erfahren, wie eine Haltung beschaf-
fen ist, die heute in Europa gar nicht selten ist
(womit ich ihr keine übertriebene Bedeutung
vindizieren will).+
+Allerdings müssten Sie dabei so sonderbare
(vielleicht aus amerikanischen [sic] Verhältnis-
sen erklärliche?) unhaltbare Vorurteile aufgeben,
wie dass ein Antisemit immer oder auch nur
sehr oft ein Faschist ist: der Faschismus par ex-
cellence, der italienische, beweist das Gegenteil.
Mich, meinerseits, würde es dagegen in-
teressieren zu erfahren, auf welcher Basis ein
56 Hippolyte (“Pol”) Abraham, architect and historian of medieval building, was known for his controversial argument
that Gothic architecture’s system of ribbed vaulting was not necessary for structural reasons. P. Abraham, Viollet-
le-Duc et le rationalisme medieval, Paris 1934. Hans Aurenhammer has pointed out that Abraham’s work would be
important for Sedlmayr up through his ‘Die Entstehung der Kathedrale’, Zürich 1950.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur