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10 1 Einleitung: Wien, jüdische Differenz und Sportfunktionäre
Jüdin nochNichtjude kann allein das Jüdischsein definieren und bestimmen,
auchwenndieDefinitionsmachthöchst ungleichverteiltwar.
Auch vor demHintergrund von Debatten zu Cultural Citizenship und zur
Rolle der– zwischendemÖffentlichenundPrivatenangesiedelten–Popular-
kultur bei der Formulierung undDiskussion gesellschaftlicherWidersprüche,
Ideale und Ängste sowie der Definition kollektiver Gemeinschaften36 erwies
sichdie FokussierungaufVereinsfunktionäre inunseremProjekt als lohnend.
AndersalsbeivielenaktivenSportlerInnen–etwaimFußball,woderenHand-
lungsspielraum etwa durch das Transfersystem eingeschränkt war37 – lagen
dem Engagement von SportfunktionärInnen bei bestimmten Klubs, Vereinen
undVerbändenmeistbewussteEntscheidungenzugrunde,dieauchvon(iden-
titäts-)politischenFragenbeeinflusst seinkonnten.
VieleSportfunktionäreund-funktionärinnenwarendarüberhinausöffent-
liche Figuren, die in der Sportpresse, zum Teil auch in den Tageszeitungen
Objekt der Berichterstattung waren. Zugleich standen sie für die Verschrän-
kung aktiver Sportausübungmit deren Organisation und Verwaltung. Schon
abEndedes 19. JahrhundertsunterlagenSportpraxenauchabseitsdesMutter-
landes England der Spezialisierung, Rationalisierung, Bürokratisierung und
Quantifizierung sowie der Herstellung (potenzieller) Gleichheit.38 Vereinewie
Verbände vermittelten sportinhärente Normen undWerte mit Unterstützung
deraufkommendenMassenmedienandieGesamtgesellschaft.DieExpansions-
bestrebungen des Sports trafen sich im Vereinswesen dabei in paradigmati-
scherWeisemit denTransformationen jüdischer Selbstbestimmungundmeist
bürgerlich-emanzipativer und säkularer Neuorganisation, die sich gerade in
Vereinen–undnicht zuletzt in Sportvereinen–konkretisierten.
Dabei ist auf die generelle Bedeutung vonVereinen als zentralemOrgani-
sationsmodell für gesellschaftliche Partizipation seit der späten Habsburger-
monarchie zu verweisen. Auf Basis des Vereinsgesetzes von 1867 setzte eine
regeGründungstätigkeitein.39NichtnurdieZahlderVereineundihrOrganisa-
tionsgrad stiegen stark an, sie deckten – insbesondere in Wien – rasch ein
breites SpektrumanVereinszweckenab, sodass „der ‚unpolitische‘Alltag ver-
36 JokeHermes, Re-readingPopular Culture (Malden 2005) 37.
37 MatthiasMarschik, AmRanddesRuhms.DieGeschichtedesFußballspielersLeopoldDru-
cker. In: transversal 1 (2007) 3–22.
38 Allen Guttmann, Vom Ritual zum Rekord. Das Wesen des modernen Sports (Schorndorf
1979); RudolfMüllner, Historische Zugänge zur Formulierungdes sportlichenFeldes. In:Mat-
thiasMarschik, RudolfMüllner,OttoPenz, GeorgSpitaler (Hg.), Sport Studies (Wien2009) 35–
46, hier 43f.
39 HansPeterHye, Daspolitische System inderHabsburgermonarchie. Konstitutionalismus,
ParlamentarismusundpolitischePartizipation (Prag 1998) 199.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918