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Die jüdische Bevölkerung Wiens in der Zwischenkriegszeit 55
besonderedadurchgesteigert, da JudenundJüdinnen inWien– imGegensatz
zuandereneuropäischenStädtenwieetwaBerlin–zumeinen ihreKindernur
dann taufen lassen konnten,wenn sich auch ein Elternteil taufen ließ,44 und
zumanderenEhenzwischenAngehörigender christlichenund jüdischenReli-
gion inÖsterreichnicht erlaubtwaren.DasEhehinderniswegenReligionsver-
schiedenheit gemäß § 64 ABGB45 erzwang vor Eheschließungen daher den
Übertritt indieReligiondesPartners bzw.derPartnerinoder zumindest einen
Austritt und die Erklärung der Konfessionslosigkeit.46 In letzteren Fällenwar
seit 1868 wenigstens das Eingehen einer amtlich geschlossenen Notzivilehe
möglich.47
DasEhehindernis gemäߧ64konnte zwar auchdurcheinenbeim jeweils
zuständigenLandeshauptmannanzusuchendenDispensnachgesehenwerden,
waseineHeiratvordenpolitischenBehördenohneAustritt ausden jeweiligen
Religionsgemeinschaften ermöglichte,48 es handelte sich dabei hinsichtlich
Ehen zwischen KatholikInnen und Juden bzw. Jüdinnen aber um eine insge-
samtwenig gängigePraxis.49DaauchdaskanonischeRecht solcheEhenaus-
44 Lichtblau, Partizipation, 237.
45 §64ABGB: „Eheverträge zwischen Christen undPersonen,welche sich nicht zur christli-
chen Religion bekennen, können nicht gültig eingegangenwerden.“ Diese Norm ersetzten ab
August 1938dieBestimmungendesdeutschenReichsgesetzblatts (dRGBl) I 1938, 807ff.
46 Lichtblau, Integration, 503;Goldhammer, JudenWiens, 17–19.
47 RGBlNr.47 vom15.Mai 1868,Art. II Abs. 1;Lichtblau, Partizipation, 237.
48 Vgl. Josef Schey (Hg.), DasAllgemeinebürgerlicheGesetzbuch […]mit einerÜbersicht der
RechtsprechungdesOberstenGerichtshofes (Wien 231936) 45 (Anm.8; §64), 52 (§83) undEr-
kenntnisse des österr. Obersten Gerichtshofes, Bd. 6 (Wien 1925) 167ff., EntscheidungNr.73
vom 21.2. 1924 (beides mit weiteren Verweisen); Österreichische Zeitschrift für Verwaltung
(8. 11. 1917) 184;ÖsterreichischeAnwalts-Zeitung (1934) 358.
49 ZurAnzahlderFälle, indenenderartigeDispense zwischen 1868und1938erteiltwurden,
liegenkeineVerlaufszahlenvor.DerstaatlicheDispensscheint für jüdisch-christlicheEhenvor
1900kaum,nach1918mit zunehmenderHäufigkeit erteiltwordensein.Vgl. JuristischeBlätter
([JBl] 1906) 366f., 413f.;ÖsterreichischeZeitschrift fürVerwaltung (8. 11. 1917) 184;NeueFreie
Presse (8.7. 1925) 3; JBl (1936) 299f. Die amtlichen Statistiken weisen fürWien im Jahr 1920
241 (von insgesamt 30.137), im Jahr 1928 84 (von insgesamt 16.137) und im Jahr 1935 156 (von
insgesamt 13.291) EheschließungenalsVerbindungeneines katholischenmit einem jüdischen
Partneraus.AllerdingsgehtausdiesenZahlenwederderAnteil ausländischerStaatsangehöri-
ger unmittelbar hervor, noch, ob zu den Ehen nur ein staatlicher oder auch ein kirchlicher
Dispens vorlag. Bundesamt für Statistik (Hg.), Die Bewegung der Bevölkerung in den Jahren
1914 bis 1921 (Wien 1923) 112f.; Bundesamt für Statistik, Handbuch 1930, 24;Magistratsabtei-
lung für Statistik, Jahrbuch 1930–1935, 48f. Durchschnittlichwurden inWien zwischen 1926
und 1928 pro Jahr 310, zwischen 1930 und 1935 pro Jahr 516 Dispense vomEhehindernis der
Religionsverschiedenheitgemäߧ64ABGBerteilt (insgesamt,d.h.alle fraglichenGlaubensbe-
kenntnisse).Magistratsabteilung fürStatistik (Hg.), Statistisches JahrbuchderStadtWien1929
(NF, 1. Jahrgang,Wieno.J.) 9;Magistratsabteilung für Statistik, Jahrbuch 1930–1935, 50.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918