Seite - 110 - in Sportfunktionäre und jüdische Differenz - Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
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te, wenn er von der Beschneidungszeremonie von Deutschs Sohn berichtet:
„Alle jüdischenMitglieder der Sportswelt und viele Glaubensbrüder von Flo-
ridsdorfwaren zuderheiligenZeremonie zugegen.“14
AufSiegfriedSamuelDeutsch folgtenbeimFACmitFritzGrünwald,Victor
Berger, Leo Klagsbrunn und Leopold Deutsch vier weitere jüdische Präsiden-
ten.Klagsbrunnwurde 1888 inWadowicenaheKrakaugeboren.SeineFamilie
zogbaldnachseinerGeburtnachWienund ließsichzunächst inderLeopold-
stadt nieder, 1899 übersiedelte sie nach Floridsdorf. In einem Industrieviertel
nahedemZentrumerwarbdieFamilieeinekleineVillaundmieteteeinWaren-
hausaufdemnahegelegenenFrachtbahnhof.15Beziehungen indiealteWohn-
gegend blieben aber bestehen: Die Vermählung Klagsbrunns mit Friederike
Kohn fand1911 imLeopoldstädterTempel statt. 1920schlossKlagsbrunnseine
Ausbildung zumChemiker ab und übernahmdas ab 1924 auf seinen Namen
angemeldete Familiengeschäft.16
War Deutsch überzeugter SDAP-Anhänger, dürfte Klagsbrunn, wie viele
Wiener Judenund Jüdinnen, auch solche aus einembürgerlichenoderMittel-
klasse-Umfeld,17 zumindest Sympathien für die Sozialdemokratie gehegt ha-
ben. So waren ja sowohl Floridsdorf wie auch derWiener Fußball jener Zeit
engmit der Sozialdemokratie verbunden. Zudem galt der FAC innerhalb der
Floridsdorfer Bezirksvereine und imGegensatz zur Admira spätestens ab den
1920er-Jahrenalsder„rote“Verein.DennochwarKlagsbrunnsAuftretendurch
unddurchbürgerlich: Fotos aus jenen Jahren zeigen ihn als elegantenMann,
er führteeinGeschäftmit sechsAngestellten,besaßeinHausundeinamerika-
nisches Automobil. Solche offensichtlichenWidersprüche waren für die Vor-
stadt Floridsdorf keineswegs untypisch: Sie beruhten auf derDiskrepanz zwi-
schendemmodernenArbeiterInnenbezirkundeinemNarrativ,dasFloridsdorf
14 PierreGildesgameMaccabiMuseum,MaccabiAustria Files, 4–01–50, IgnazHermannKör-
ner, Manuskript für ein Lexikon jüdischer Sportler, undatiert, 15. In der vonMarcusG. Patka
editiertenBuchfassung istdiesePassagenichtenthalten: IgnazHermannKörner,Lexikon jüdi-
scher Sportler inWien. 1900–1938. Hg. u. ed. vonMarcus G.Patka imAuftrag des Jüdischen
MuseumsWien (Wien 2008).Wir dankenMarcus Patka vom JüdischenMuseumWien für die
ZurverfügungstellungdesRohmanuskripts.
15 Zur Lebensgeschichte vgl. ErichHackl, Drei tränenlose Geschichten (Zürich 2014). Nach
dem „Anschluss“war Klagsbrunn der Verfolgung durch denNationalsozialismus ausgesetzt.
Mit seiner Frauund seinenSöhnengelang ihmüberPortugal die FluchtnachBrasilien.
16 ÖStA, AdR, HBbBuT BMfHuV, Allg Reihe Ing Klagsbrunn (1888) Leopold 28267/1920 AE
500.Wiener Stadt undLandesarchiv,HandelsregisterA 29/228a, 2.3.3.B76.29.228a.
17 AlbertLichtblau,AmbivalentModernity.TheJewishPopulation inVienna. In:Quest. Issues
inContemporary JewishHistory 2,H. 2 (2011) 1–11.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918