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nehmung jüdischer Identitäten.99DasKonzeptwie seineKonkretisierungetwa
imBegriff derBodenständigkeitwurden immerwiederneuausverhandelt und
sie erwiesen sich als ebenso durchgängig wie auffallend fluide,100 obwohl –
oder gerade auchweil – der Begriff des Raumes die entscheidende Klammer
bildete.
In Lexikades 19. Jahrhunderts finden sichprimär zweiWortbedeutungen:
„Bodenständigkeit“wird zumeinendemLandbau,derAgrikultur zugeordnet,
zum anderenwird der Begriff in den Bereich des Kunstschaffens übertragen,
wo„bodenständig“gleichfallsals lokaleVerankerungimGegensatzzuInterna-
tionalität, Import oderFremdheit interpretiertwird. Inder engerenBedeutung
des „auf demBoden stehend, befindlich“ ist der Begriff seit dem 17. Jahrhun-
dertnachgewiesen,dieübertrageneGeltungals„fest inderHeimatverwurzelt“
kamerst im19. Jahrhundertauf.101Erstdamiterhielt „Bodenständigkeit“einen
gesellschaftspolitischenKonnex,wurde alsMetapher in ein kulturelles Raster
einbezogenunderhielteinensemantischenHof,dereineabstrahierende–und
wertende–Verwendungerlaubte.
InderösterreichischenMedienlandschaft tauchtderBegriff vermutlichum
1860erstmalsauf, seineHäufigkeitnimmt indendarauffolgendenJahrenmar-
kantzu.102 InzunehmendemMaßwurdendabeiauch–nichtzuletzt imZusam-
menhangmitdem„Vielvölkerstaat“–FragenderBodenständigkeitbestimmter
Bevölkerungsgruppenbehandelt, einThema,dasgerade inderDiskussionum
dieLoyalität imHeer anBrisanzgewann.
Schonvor 1918wurdederBegriff derBodenständigkeit auchmit der Frage
der jüdischenMinderheit verbunden. Sowurde auf einem jüdischen „Vertrau-
ensmännertag“ in Lemberg, bei demVertreter verschiedener Gruppen ein ge-
meinsamesProgrammerarbeitenwollten, formuliert,die„jüdischeBevölkerung
inÖsterreich“ sei „ebenso einheimischundbodenständig,wie jeder andere in
99 NilsH.Roemer,GideonReuveni, Introduction.Longing,Belonging,and theMakingof Jew-
ishConsumerCulture. In:GideonReuveni, NilsH.Roemer (Hg.), Longing, Belonging, and the
Makingof JewishConsumerCulture (Leiden 2010) 1–21.
100 HarveyE.Goldberg, Introduction.DynamicJewishIdentities: Insights fromaComparative
View. In: Harvey E. Goldberg, Steven M. Cohen, Ezra Kopelowitz (Hg.), Dynamic Belonging.
Contemporary JewishCollective Identities (NewYork 2012) 1–28.
101WolfgangPfeiferet al., EtymologischesWörterbuchdesDeutschen (München 52000) 154.
102 Als Indiz kann die Häufigkeit des Vorkommens in der Volltextsuche der Datenbank der
ÖsterreichischenNationalbibliothek (Anno online) angeführtwerden: Taucht der Begriff zwi-
schen 1882und 1890 siebenmal und zwischen 1891 und 1899 26-mal auf, intensiviert sichdie
Verwendung zwischen 1900und 1908 auf 214, zwischen 1909 und 1918 dann auf 797 Erwäh-
nungen. SelbstunterBerücksichtigungderRahmendaten, vomAufkommenderMassenpresse
bis zudenDigitalisierungskriterienderÖNB, ist das einmarkanterAnstieg.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918