Seite - 138 - in Sportfunktionäre und jüdische Differenz - Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
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zwischendemRotenWienundderkonservativenProvinz–nichtzuletztgegen
den InternationalismusundUrbanismusder Sozialdemokratie gewendet.
IstdieVerwendungdesBegriffes „bodenständig“ inchristlichsozialenund
deutschnationalenDiskursenwenigverwunderlich, soüberrascht aufdeners-
ten Blick dieHäufigkeit seiner – keineswegs nur pejorativen –Nutzung auch
in sozialdemokratischen und innerjüdischen Diskursen. Sozialdemokratische
Medien verwendeten denBegriff einerseits, umdas bürgerliche Lager zu des-
avouieren: Das sozialdemokratische Kleine Blatt beschrieb etwa einen steiri-
schenBürgermeister,der–obwohlangeblichAntisemit–etlichenJudengegen
gutesGeldHeimatscheine verschafft hatte, als „deutsch, streng christlich“ so-
wie als „bodenständig und völkisch“.108 Daneben finden sich in sozialdemo-
kratischenMedienaberauch immerwiederpositiveKonnotationeneinergeer-
deten Bodenständigkeit, wenn etwa Marie Schuller, die Vorsitzende der
Floridsdorfer Frauenorganisation, als „echte Proletarierin, bodenständig, wie
wir esverstehen“,bezeichnetwird.109Dochauch inOttoGlöckelsSchulreform
findetderBegriffalseinePrämissePlatz:„Bodenständigkeit (Umgebungsbezo-
generUnterricht)“.110
UmgekehrtwurdederSozialdemokratie gerade inundausderProvinz im-
merwiedermangelndeBodenständigkeit vorgeworfen, indemdas sozialdemo-
kratische Gedankengut „als von außen importiert, als nicht bodenständig“
abgetanwurde111 oderdieGewerkschaften inder Steiermarkals „nicht boden-
ständigundgemeinschaftsschädlich“ angesehenwurden.112
Eine (gescheiterte)Strategiebürgerlicher,bereitsvor1914 inWienansässig
gewesener JudenundJüdinnen,umdiesenVorwurfmangelnderBodenständig-
keit zu entgehen,war die Abgrenzung von den später zugewanderten „Ostju-
den“. Immer wieder wird, auch in der zionistischen Presse, der Unterschied
zwischen „bodenständigen“Wiener Judenund Jüdinnen einerseits sowie zwi-
108 DasKleineBlatt (13.6. 1929) 7.
109 Arbeiter-Zeitung (17. 10. 1933) 7.
110 Rotes-Wien.at, Glöckels Schulreform, online unter http://www.rotes-wien.at/content/
rote%20Stichwoerter/gloeckels%20schulreform.htm(4. Juli 2018). „Bodenständigkeit“warein
generellesPrinzipderSchulausbildungderErstenRepublik.War siebis zuBeginnder 1930er-
Jahre„hauptsächlichpädagogischeMaßnahme“,erhielt sie imAustrofaschismus„einenvolks-
tümlichen,nationalenCharakter“: IrisGamsjäger, „DasiehtmanjadieganzeWelt!“Der räum-
licheAktionsradiusvonFibelkindernunddasThemaderFerne inösterreichischenErstlesebü-
chernder Jahre 1910bis 1960 (Dipl.-Arb.Univ.Wien 2012) 22.
111 Christoph vonHartungen, Günther Pallaver (Hg.), Arbeiterbewegung und Sozialismus in
Tirol/Movimentooperaio e socialismo inTirolo (Bozen/Innsbruck 1986) 13.
112 AndreasFraydenegg-Monzello, Volksstaat undStändeordnung.DieWirtschaftspolitik der
steirischenHeimwehren 1927–1933 (Wien/Köln/Weimar 2015) 79.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918