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„Jüdische“ Sportpresse? 167
Nicht einmal eineWoche nach dem „Anschluss“ war der Sportjournalis-
mus, mit Ausnahme einiger Autoren, die sich in einer Grauzone behaupten
oder, wie ErwinMüller, unter Pseudonymbeschränkt weiter tätig sein konn-
ten,20 „judenrein“ gemacht worden. ZumGutteil war dies auf äußerenDruck
geschehen,zumkleinenTeilauchinvorauseilendemGehorsam,wennetwaim
Sport-Tagblattam15.MainichtnurAdolfHitler zum„Befreier unseres Sports“
stilisiert, sondernauch formuliertwurde: „DeutscheSportlerhabendasRecht,
zu fordern, daß nur deutsche Volksgenossen über ihre Leistungen und über
den nationalsozialistischen Sport schreiben. Wir haben die Konsequenz aus
dieser unsrer Ueberzeugung gezogen und teilenmit, daß von heute an kein
Jude in der Redaktion des ‚Sport-Tagblattes‘ tätig ist.“21 Ähnliche Botschaften
verkündeten fast alle Zeitungen,wennauchmitunter dezenter: So schriebder
Fußball-Sonntag: „Die aus der geändertenSachlage sich ergebendenVerände-
rungenderRedaktionwurdenbereits durchgeführt.“22
Die Erörterung von Fragen der jüdischen Publizistik und des jüdischen
Sportjournalismus in der Ersten Republik darf diesesWissen um die Entlas-
sung,Verhaftung,VertreibungundErmordung etlicher jüdischer Sportjourna-
listen, verknüpft mit Befunden über die Veränderung der Sportberichterstat-
tung nach dem „Anschluss“ und dem Hinweis auf markante Defizite des
Sportjournalismus inÖsterreichnach 1945, insbesondere die nur rudimentäre
Wiederbelebungdes „jüdischenSportfeuilleton[s]“, nicht ausblenden.
Aber auch der Begriff der „jüdischen Sportpresse“ oder des „jüdischen
Sportjournalismus“ kann unterschiedlich verstandenwerden. In einem enge-
renSinn sinddamit alleDruckwerke gemeint, die sich ausdezidiert jüdischer
Perspektivemit Sport auseinandersetzen. Darunter fallen einerseits die Publi-
kationen jüdischer Sportvereineund -verbände, also vor allemdieMediender
Hakoah, etwadie von 1925bis 1934herausgegebeneZeitschriftHakoah.Offizi-
ellesOrgandes SportklubsHakoahoder die zwischen 1932und 1938publizier-
ten Nachrichten des Schwimmclub Hakoah (ab Nr. 285: Nachrichtenblatt des
SchwimmclubHakoah).
Andererseits zählt die Sportberichterstattung jüdischer und vor allemzio-
nistischer Medien dazu. Tatsächlich erwiesen sich die diversen zionistischen
Wiener Zeitungen und Zeitschriften als mehrheitlich sportaffin, brachten Be-
richte über Sportereignisse, vor allem über solche, an denen jüdische Klubs
beteiligtwaren. Sie reflektiertenaber auchgenerell über dieRolle undBedeu-
20 Elisabeth Lebensaft,Müller, Erwin; Ps.Norbert Nindl (1879–1950), Journalist. In: Österrei-
chischesBiographischesLexikon 1815–1950,Band6, 30. Lieferung (Wien 1975) 412.
21 Sport-Tagblatt (15. 5. 1938) 1.
22 Fußball-Sonntag (20.3. 1938) 2.
Sportfunktionäre und jüdische Differenz
Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Titel
- Sportfunktionäre und jüdische Differenz
- Untertitel
- Zwischen Anerkennung und Antisemitismus – Wien 1918 bis 1938
- Autoren
- Bernhard Hachleitner
- Matthias Marschik
- Georg Spitaler
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-055331-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 376
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918