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Sprachvariation und Alter | 63
deutschen Sprachraums, in dem das Verhältnis von Dialekt und Standardspra-
che als Kontinuum beschrieben werden kann (vgl. Kapitel 1.1.2. und 3.1.3.), ist
darĂĽber hinaus zu hinterfragen, ob Jugendkommunikation mit ihren diversen
auĂźersprachlichen Einflussfaktoren, wie in Neulands Abbildung angedeutet,
der Standardvarietät gegenüberzustellen ist. Für Sprecher/-innen des südlichen
deutschen Sprachraums, die dialektale Sprechweisen im Alltag nicht nur in
familiär-informellen, sondern auch in formelleren, halböffentlichen Domänen
als unmarkierte Varietät gebrauchen,81 scheint es treffender, die Standardvarie-
tät nicht als Gegenpart zu allen Substandard-Ressourcen, sondern vielmehr als
ein weiteres Mittel jugendlichen Sprechens mit spezifischen Funktionen zu
sehen.82 Der Auffassung Neulands, den Sprachgebrauch Jugendlicher nicht als
eine mehr oder weniger abgrenzbare Varietät mit stabilen, kookkurrierenden
Merkmalen, sondern als Teil eines multidimensionales Variationsspektrums
aufzufassen, wird aber in seinen GrundzĂĽgen beigepflichtet.
Neben der bemängelten Inadäquatheit des Varietätenbegriffs in Bezug auf
Jugendsprachen als äußerst inhomogenen Forschungsgegenstand, ist aber auch
auf einer noch allgemeineren, eher methodischen Ebene Kritik am Varietäten-
modell geübt worden: Androutsopoulos etwa sieht den Varietätenbegriff in der
Jugendsprachforschung auch in seiner Konstrukthaftigkeit und damit einher-
gehenden fehlenden Empirie-Adäquatheit als problematisch an:
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81 Vgl. dazu den im Aufsatz „Varietätenwahl und Code-Switching in Deutschschweizer Chat-
Kanälen - Quantitative und qualitative Analysen“ von Siebenhaar (2005) verwendeten Begriff
Matrixvarietät, der vom Autor in Anlehnung an Myers-Scotton (2001) als jene Varietät definiert
wird, „welche die grammatische Basisstruktur für Äußerungen darstellt. Sie stellt damit die
unmarkierte Varietät in einer Umgebung dar, in der Elemente anderer Varietäten auffallen. […]
Wechsel in dieser unmarkierten Umgebung werden als auffällig wahrgenommen und interpre-
tiert“ (Siebenhaar 2005: 8). Der Autor weist explizit darauf hin, dass dieser in der Chat-
Kommunikation vorfindliche Wechsel von der dialektalen Matrixvarietät zur Standardvarietät
und seine Funktionen „mit denen in direkter Interaktion vergleichbar“ (Siebenhaar 2005: 8)
sei.
82 Wenn Dialekt oder regionale Umgangssprache den alltagssprachlichen Normalfall darstellt
– Kallmeyer (1994: 25) spricht hier auch von einer „Normallage“ – , kann der Einsatz von Stan-
dardsprache in Gesprächen zwischen Sprecher/-innen derselben regionalsprachlichen Varietät
u.A. in Form eines innersprachlichen Code-Switchings bzw. Code-Shiftings (vgl. Neuland 2008:
7374 und 151) als Kennzeichen jugendlichen Sprechens mit unterschiedlichen Funktionen, z.B.
des Wechsels in eine humorvolle Interaktionsmodalität im Sinne eines „Sprechens mit fremden
Stimmen“ (vgl. Androutsopoulos/Spreckels 2010: 89), verwendet werden. Gesprächssequenzen
der Osttiroler Freizeitkommunikation, die dieses Spiel mit fremden Stimmen exemplarisch
darstellen, finden sich u.a. in Kapitel 4.4.3.
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Titel
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Untertitel
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Autor
- Melanie Lenzhofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Abmessungen
- 14.8 x 22.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute