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94 | Theoretische Voraussetzungen
Diese interaktionalen Ressourcen werden in interaktional-linguistischen Ansät-
zen als rekurrente Muster bzw. (mehr oder weniger) sedimentierte Routinen
begriffen, die „nicht als Produkte der Kompetenz eines einzelnen Sprechers“,
sondern als „dialogisch ausgerichtete Errungenschaften“ (Günthner 2007c: 150)
zu begreifen sind. Diese wiederkehrenden Strukturen können nur durch eine
induktiv orientierte Analyse der diskursiven Daten herausgearbeitet werden:
Auf Basis einer sorgfältigen Transkription der Daten129 wird nach rekurrenten
Mustern gesucht und diese in ihrem interaktionalen Zusammenhang beschrie-
ben. Grundlegender Baustein, in dem sprachliche Phänomene auftreten, ist der
Turn (Redebeitrag) bzw. in weiterer Folge die turn constructional unit (Turn-
konstruktions-einheit; TCU) als fundamentale Einheit des Gesprächs (vgl.
Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Ein Turn kann aus einer oder mehreren TCUs
bestehen, die wiederum satzförmige Einheiten, aber auch andere Formulie-
rungsmuster enthalten können: „Ein Redezug kann aus einem einzigen Wort,
einer Phrase, einem Satz oder einem längeren, komplexen Redebeitrag wie z.B.
einer kleinen Geschichte bestehen“ (Stukenbrock 2013: 230). TCUs können den
gesamten Redebeitrag eines Sprechers/einer Sprecherin umfassen und damit in
einen transition relevance place (TRP), einen möglichen Übergabepunkt des
Rederechts münden (vgl. Selting 2000: 484). Die sequentielle Abfolge der ver-
schiedenen Redebeiträge lässt sich in Regularitäten des Turn-Taking (des
Wechsels von Redebeiträgen bzw. der Verteilung des Rederechts) beschrei-
ben.130
Der Satzbegriff hat also auch in der Konversationsanalyse bzw. in der Inter-
aktionalen Linguistik seinen Platz: Es wird davon ausgegangen, dass satzförmi-
ge Äußerungen auch in gesprochener Sprache-in-Interaktion vorkommen (vgl.
Selting 1995) – sie sind jedoch nicht als feste Strukturen, sondern vielmehr als
offene Formate zu verstehen (vgl. Imo 2013: 80). Satzförmige Strukturen werden
erst durch den Gebrauch in der Interaktion als solche konstituiert; sie sind nicht
als Produkt einer wie auch immer regelgeleiteten Kompetenz des Sprechers/der
Sprecherin zu begreifen, sondern bilden sprachliche Ressourcen im Sinne ver-
||
129 In der Konversationsanalyse und der Interaktionalen Linguistik wird davon ausgegangen,
dass „order at all points“ (Sacks 1984: 22) besteht. Die auf den ersten Blick überwältigende
Heterogenität in gesprochener Sprache folgt demnach einer internen Ordnung – auch Pausen,
Verzögerungssignale (z.B. ähm) oder Abbrüche dürfen nicht als zufällige Performanzphäno-
mene abgetan werden, sondern müssen in der verschriftlichten Version des Gesprächs exakt
transportiert werden. Zur zentralen Rolle der Transkription und weiteren zentralen methodi-
schen Annahmen vgl. Stukenbrock (2013: 224225).
130 Detaillierte theoretische Ausführungen und Analysen zum Turn-Taking finden sich u.a. in
Paulston/Kiesling/Rangel (2012).
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Titel
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Untertitel
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Autor
- Melanie Lenzhofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Abmessungen
- 14.8 x 22.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute