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lichkeiten der Gestaltschließung auch revidiert werden kann: „[S]o erweist sich,
was vielleicht zuerst als vollständig und abgeschlossen erschien, oft im nächs-
ten Augenblick als Bruchstück einer größeren Gestalt“ (Auer 2010: 11).
Einen wichtigen Bezugspunkt dieser Online-Prozessierung in mündlicher
Kommunikation sieht Auer im impliziten grammatischen Wissen der Kommuni-
kationsteilnehmer/-innen: „Diese Projektionen können auf der Basis dessen
erfolgen, was man als grammatisches Wissen zu bezeichnen pflegt, d.h. syntak-
tischem Wissen auf der Satzebene“ (Auer 2010: 59). Dabei muss beachtet wer-
den, dass Projektionen auch über einen Sprecherwechsel hinweg wirken kön-
nen und die Projektion eines/einer Sprechers/in von einem/einer der
Rezipient/-innen fortgeführt werden kann (vgl. Auer 2010: 42). Im folgenden
Beispiel ist dies der Fall:
Beispiel 11: ED 2, Z. 856ff.: „Öffnungszeiten in Südtirol“
856 Sim: oba bruneck is so aa eh a bissl a FADS
stadtel;=nit,
((…))
861 Han: von zwölf bis fünfzehn uhr is
[(-) !AL!les geschlossen;]
862 Sim: [(-) alles ZUA;]
'Sim: Aber Bruneck ist so auch ein eher fades Städtchen, nicht? – Han: Von zwölf bis fünfzehn
Uhr ist alles geschlossen. – Sim: Alles zu.'
Aus der vorhergehenden Äußerung Sims, der zufolge die Stadt Bruneck nicht
besonders viel zu bieten hat, ergibt sich ein thematischer Kontext, aus dem Sim
die Projektion aus Hans Kommentar fortsetzen kann – in diesem Fall zeitlich
überlappend mit Hans eigener Gestaltschließung. Die Kopula eröffnet dabei
einen syntaktischen Rahmen, dessen Erfüllung von Sprecher und Hörer erwar-
tet wird. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass verschiedene Wortarten eine syn-
taktische Projektionskraft aufweisen können: das Verb etwa in Form seiner
Valenz-179 und Stellungseigenschaften, Präpositionen in Form von verlangten
Rektionen, Subjunktoren eröffnen eine Klammer, ein Artikel kündigt eine No-
minalphrase an, ein finites Modalverb lässt prototypisch einen Infinitiv erwar-
ten usw. (vgl. Stein 2010: 8081).
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179 Analog zur Unterscheidung zwischen Valenzpotenz und Valenzrealisierung (vgl. Ágel
2000: 42) soll hier zwischen der Projektionspotenz, die ein Äußerungsteil auslösen kann, und
der tatsächlichen Realisierung der Projektion unterschieden werden (vgl. Hennig 2006: 197).
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Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Titel
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Untertitel
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Autor
- Melanie Lenzhofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Abmessungen
- 14.8 x 22.0 cm
- Seiten
- 502
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute