Seite - 101 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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same Sprache und Abstammung gekennzeichneten Nation feiern lassen. Der
Kaiser aber konnte sich übernational präsentieren und eignete sich somit als
integrative Identifikationsfigur, die sich außerdem auf eine lange, stark reli-
giös aufgeladene Tradition berufen konnte, und „[d]ieser sehr alte Glaube an
das ‚Heil‘ des von Gott eingesetzten Monarchen blieb, freilich mit Ab-
schwächungen, in der Tat wirksam bis zum Ende der Monarchie“.79 Und so
wurde Franz I. in Haydns Kaiserhymne als „guter Kaiser Franz“ besungen,
und als solcher blieb er auch in Erinnerung, und das obwohl von der Histori-
kerzunft festgestellt wurde, dass er nicht als herausragende Kaisergestalt
bezeichnet werden könne: „Kaiser Franz I. kann nicht zu den großen Herr-
schern aus dem Hause Habsburg gezählt werden“.80 Nun, Johann Nepomuk
Raimann wird die Herrscherqualität seines Kaisers gewiss nicht in Frage
gestellt haben, und auch für viele der Untertanen, die dem Kaiser auf seiner
zur vierzigsten Wiederkehr seines Regierungsantritts unternommenen Reise
zujubelten, dürfte diese Frage nicht von Belang gewesen sein.
Ein Grund für des Kaisers und seiner Gefolgschaft Reise im Jahr 1832 dürfte
also das Jubiläum des vierzigsten Regierungsjahres Franz I. gewesen sein.
Es mag aber noch einen weiteren Grund gegeben haben, der eine Abwesen-
heit des Kaisers aus Wien, gerade aus (leib-) ärztlicher Sicht, als ratsam er-
scheinen ließ: In Wien wütete seit 1831 die Asiatische Cholera. „Als der
walzertaumelige Biedermeiermensch durch das Gerücht der nahenden Cho-
lera aufgeschreckt wurde, glaubte er noch an die Wirkung von Pestabsper-
rungen, doch wurde er bald eines besseren belehrt. Die Seuche war von rus-
sischen Truppen von der indischen Grenze nach Galizien eingeschleppt wor-
den und trat von dort in Windeseile ihren Siegeszug nach Westen an. 1830
erreichte sie Niederösterreich und 1831 Wien, wo sie das gesamte öffentli-
che Leben zum Stillstand brachte, zwei Jahre lang wütete und in der Folge
auch die restlichen Länder nicht verschonte.“81 Die Cholera verbreitete
Angst und Schrecken, die auch in der Literatur ihren Nachhall fanden. So
schreibt etwa Leopold von Sacher-Masoch in seiner im Jahr 1831 in Galizien
angesiedelten Erzählung „Abe Nahum Waßerkrug“:
„Der Revolution [in Warschau/Polen 1830] folgte der Krieg, dem Kriege die
Cholera. […] Die Cholera kam, langsam, aber furchtbar wie niemals wieder,
und forderte Tausende und wieder Tausende von Opfern. Es half keine Arz-
79 Bruckmüller, Österreich, S. 270.
80 Hartmann, Schnith, Die Kaiser, S. 676.
81 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 198.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832