Seite - 109 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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rer, Arzt und Vaterâ,99 der die Lebensgestaltung der Menschen in so gut wie
allen Belangen beeinflusste, auch in medizinischen Angelegenheiten. Dass
die Geistlichen einen so groĂen Einfluss auf die Bevölkerung hatten, war
den Kirchenoberen gewiss nicht unrecht, eines aber wollten sie, im Einklang
mit den seit dem seit dem Josephinismus prÀvalierenden aufgeklÀrten und
der Vernunft verpflichteten Gedankenströmungen, aber gewiss nicht: den
Aberglauben fördern. âBesonderes Anliegen innerhalb der Reformbestre-
bungen des Episkopats war die EindÀmmung des Aberglaubens im Volk, das
dem Teufel die Macht zuschrieb, die verschiedensten Krankheiten und
Gebrechen zu verursachen. Eine derartige Macht des Satans wurde als der
Ehre Gottes nachteilig angesehen.â100 Wenn Raimann nun berichtet, dass
âvon den Geistlichen auf dem Lande sehr viel Unfugâ mit der Homöopathie
getrieben und âdas Landvolk bethörtâ werde, so scheint dies doch auf eine
Verquickung homöopathischer Heilweisen mit aberglÀubischen Praktiken
hinzuweisen. Raimann musste also doppelt empört sein.
Das freie Bekenntnis hoher wie niederer gesellschaftlicher Schichten in Lai-
bach und Krain zur Homöopathie musste Raimann umso alarmierender er-
scheinen, als die Homöopathie von ihren AnfÀngen an eine ausgesprochen
polarisierende Wirkung ausĂŒbte. Schon ihr BegrĂŒnder, Samuel Hahnemann,
war Objekt heftigster medizinischer Kontroversen: âWenn Hahnemann auf
der einen Seite, wie selten ein Arzt, von Ărzten und Laien geliebt und ver-
ehrt wurde, so fehlte es allerdings auch nicht an schÀrfsten Angriffen auf ihn;
zu seinen Lebzeiten nannte man ihn âScharlatanâ, âBetrĂŒgerâ, âDummkopfâ
und verglich ihn sogar mit dem Teufel. Auch auf seine AnhÀnger dehnte sich
diese Feindseligkeit aus, und die Zeit und Gewohnheit minderte kaum diese
scharfe GegensĂ€tzlichkeit beider Parteien.â101 Dieser Streit um die Homöo-
pathie, der gleichsam quasireligiöse Dimension annahm, war zur Zeit von
Raimanns Reise voll entbrannt; zu jener Zeit war auch der genannte Samuel
Hahnemann 77 Jahre alt und durchaus noch am Leben â und er sollte noch
99 Vgl. Peter G. Tropper, âHirt, Lehrer, FĂŒhrer, Arzt und Vaterâ. Der Josephinismus und
die neue Rolle des niederen Klerus, in: Harald Krahwinkler (Hrsg.), Staat â Land â Nati-
on â Region. Gesellschaftliches BewuĂtsein in den österreichischen LĂ€ndern KĂ€rnten,
Krain, Steiermark und KĂŒstenland 1740 bis 1918 (Klagenfurt u.a. 2002), S. 67-101.
100 Tropper, âHirt, Lehrer, FĂŒhrer, Arzt und Vaterâ, S. 79.
101 Rudolf Tischner, Geschichte der Homöopathie, 4 Teile: Teil 1: Die VorlÀufer der
Homöopathie (Leipzig 1932); Teil 2: Hahnemann â Leben und Werk (Leipzig 1934);
Teil 3: Ausbreitung der Homöopathie (bis 1850) (Leipzig 1937); Teil 4: Die Homöopa-
thie seit 1850 (Leipzig 1939), Teil 1, S. 4.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832