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Menschen, die ja grundsätzlich allesamt als vernunftbegabt und damit als
erziehbar galten, formen und verbessern könne, dass also kein Mensch ganz
verloren sei, da ja irgendwo in seinem Innersten das wenn auch noch so
kümmerlich dahinglimmende Feuer der Vernunft verborgen sei und er, wenn
er nur wolle, immer noch den Weg zum Besseren einschlagen könne.152 Im
späteren Verlauf des 19. Jahrhunderts sollte sich dieses Menschenbild wan-
deln; v.a. unter dem Einfluss darwinistischer Denkströmungen gewann die
Auffassung an Boden, dass der Mensch biologisch und moralisch determi-
niert sei und dass Deviante und sogenannte Degenerierte daher auch nicht
gebessert werden könnten. Und so schwand die Vorstellung, man könne
Menschen zu einer Höherentwicklung führen; sie wurde ersetzt durch Be-
strebungen, die in die Gesellschaft nicht ohne weiteres Einordenbaren aus-
zumerzen, da die Gesellschaft vor ihnen nicht anders geschützt werden kön-
ne. Derlei sozialdarwinistisch motivierte Ängste vor angeblich drohender
Degeneration und ‚Entartung‘ der Gesellschaft sollten dann im 20. Jahrhun-
dert und vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus zu furchtbaren und
fatalen Konsequenzen führen153 – Raimann und seine Zeit aber waren davon
doch noch recht weit entfernt.
Raimann gab aber nicht allein der Trunksucht und der Trägheit, also der
moralischen Unvollkommenheit der Menschen, die Schuld an dem von ihm
beobachteten kulturellen und auch demographischen Tiefstand der Bevölke-
rung von Parenzo, dessen Einwohnerzahl er mit 2500 angibt. Auch der Staat
mit seinen ‚Veredelungsmaßnahmen‘ trug – in Raimanns Augen wohl ein
Paradoxon – dazu bei, dass Parenzo nicht in höherer Blüte stand, da ein Teil
der männlichen Bevölkerung „im Seedienste“ abwesend war. Und die Natur
höchstselbst leistete ebenfalls ihren Beitrag zur kulturellen Stagnation, „weil
endemische bösartige Wechsel- und andere Fieber jährlich Viele hinweg
raffen“.
(Hrsg.), Menschenrechte und Menschenbilder von der Antike bis zur Gegenwart (Ham-
burg 2006); Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identi-
tät (Frankfurt/Main 1996).
152 Zur aktuellen Diskussion über die Vernünftigkeit des Menschen vgl. Heinrich Schmi-
dinger, Clemens Sedmak (Hrsg.), Der Mensch – ein „animal rationale“? Vernunft –
Kognition – Intelligenz (Darmstadt 2004).
153 Die Literatur hierzu ist Legion; da diese Thematik Raimanns Reisebericht nur ganz
leicht am Rande berührt, sei lediglich ein Werk genannt, das einen plastischen Überblick
bietet: Thomas Etzemüller, Ein ewig währender Untergang. Der apokalyptische Bevölke-
rungsdiskurs im 20. Jahrhundert (Bielefeld 2007).
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832