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Produktionsapparat“172 verwehrten, kriminalisiert und letztlich in Gefange-
nen- und Arbeitshäuser gesperrt wurden, wo sie zu Zucht und Disziplin er-
zogen werden sollten.173 Immerhin gab es keine so grausamen Todes- und
Körperstrafen mehr, wie sie im Mittelalter und bis ins 18. Jahrhundert hinein
bestanden hatten. Der Geist der Aufklärung wollte verstehen, was in an sich
vernunftbegabten und daher zumindest potentiell einsichtigen Menschen
vorging, denn nur wenn man die Motivationen für kriminelles Verhalten
richtig einschätzen kann, kann man auch die richtigen Erziehungsmaßnah-
men setzen. Dies führte zu einer verstärkten wissenschaftlichen Auseinan-
dersetzung mit dem Verbrechen und den Verbrechern und damit zur Geburt
der modernen Kriminalpsychologie: „Die durch Naturrecht und Aufklärung
ausgelöste Entstehung eines philosophischen Strafrechts und die mit den
Begriffen Individualisierung und Psychologisierung beschriebene neue
Sichtweise im Strafrecht stellen entscheidende Voraussetzungen für die Ent-
stehung der Criminalpsychologie dar.“174 Aber die Praxis konnte nicht ab-
warten, bis die Wissenschaft zu brauchbaren, einhellig anerkannten Ergeb-
nissen gekommen war (gerade im Bereich des Strafrechtssystems und Straf-
vollzugs ist ihr das ja bis heute nicht gelungen), und so griffen wissenschaft-
licher Diskurs, politische Debatte und Reformen der Strafpraxis ineinander,
was immer wieder zu Neuerungen im Strafvollzug führte. Im 18. Jahrhun-
dert waren Landstreicherei und Bettelei schon ausreichend gewesen, um ins
Zuchthaus gesteckt zu werden; gegen Ende des Jahrhunderts aber verscho-
ben sich die Kriterien für die Aufnahme in ein Zuchthaus immer mehr in
Richtung Kriminalität; nun musste Landstreicherei z.B. „in Kombination mit
anderen, vor allem mit Eigentumsdelikten“ vorliegen, um eine Einweisung
etwa in das Grazer Zuchthaus zu bewirken. Und: „Zunehmend belegten auch
Schwerverbrecher das Haus.“175 In den Zucht- und Arbeitshäusern sollten
172 Gerhard Ammerer, Zucht- und Arbeitshäuser, Freiheitsstrafen und Gefängnisdiskurs
in Österreich 1750-1850, in: Gerhard Ammerer, Alfred Stefan Weiß (Hrsg.), Strafe, Dis-
ziplin und Besserung. Österreichische Zucht- und Arbeitshäuser von 1750 bis 1850
(Frankfurt/Main u.a. 2006), S. 7-61, 7.
173 Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (Frank-
furt/Main 1977).
174 Ylva Greve, Verbrechen und Krankheit. Die Entdeckung der „Criminalpsychologie“
im 19. Jahrhundert (Köln u.a. 2004), S. 27.
175 Ammerer, Zucht- und Arbeitshäuser, S. 10. Zum Grazer Zucht- und Arbeitshaus vgl.
Elke Hammer-Luza, „Unruhige, ausschweifende, aller Ordnung und Zucht unempfängli-
che Menschen.“ Das Grazer Zucht- und Arbeitshaus im ausgehenden 18. und beginnen-
den 19. Jahrhundert, in: Gerhard Ammerer, Alfred Stefan Weiß (Hrsg.), Strafe, Disziplin
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832