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152 slawischem Typus. ‚Ihre niedere vorgewölbte Stirne, die vorgewölbten Joch-
beine, die tiefliegenden Augen, die im Rücken eingedrückte und oft noch
aufwärts gestülpte Nase benehmen der Physiognomie alles Anziehende‘. Auf-
fällig ist auch die Länge ihrer Arme und Beine.“192
Welchen Volkes schöne Kinder Raimann in Dignano auch immer gesehen
haben mag – wenn die eben vorgestellte, bereits mit dem Vokabular der
Rassentheorien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts angereicherte
Beschreibung tatsächlich zutreffend gewesen sein sollte, so handelte es sich
dabei wohl kaum um die weibliche Jugend der Tschitschen, denn Raimann
berichtet ausdrücklich von schönen jungen Frauen. Vielleicht waren es aber
auch tatsächlich Griechinnen – wie auch immer, Raimann scheint auf die
Volkszugehörigkeit der jungen Damen weit weniger Gewicht gelegt zu ha-
ben als auf ihre Schönheit. Ähnlich wie sein Kaiser, der sich in der Nachfol-
ge universaler Herrscher wusste, orientierte er sich an Werten, die jenseits
der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprach- oder Abstammungsgemein-
schaft liegen. Und so lehrte und lehrt es auch die katholische Religion, der
Raimann und sein Kaiser anhingen: Der wahre Glaube fragt nicht nach der
Abkunft eines Menschen, vor Gott sind Pharisäer und Philister gleich.
Schließlich wurden ja auch die mumifizierten Heiligen, die hinter dem
Hauptaltar der Kirche des Hl. Blasius (Sv. Blaž) in Dignano/Vodnjan be-
wundert werden können, nicht wegen ihrer Nationalität, sondern wegen ihres
untadeligen und gottgefälligen Lebenswandels verehrt.
Nach Griechenland aber, oder besser gesagt in die altgriechische Mytholo-
gie, weist auch das nächste Ziel Raimanns: Pola, heute Pula genannt, soll ja
vorzeiten von aus dem östlichen Schwarzmeergebiet stammenden Menschen
gegründet worden sein: „Der Mythologie nach wurde Pola (griechisch: Po-
lai) von Kolchern gegründet, die sich – nach der vergeblichen Verfolgung
von Jason und Medea – nicht mehr nach Kolchis zurückwagten.“193 Diese
Kolcher hätten, so verkündet der um die Zeitenwende schreibende antike
Geograph Strabon, den alexandrinischen Dichter Kallimachos zitierend, der
Stadt auch ihren Namen Pola gegeben; die Griechen hätten sie bloß als Stadt
der Verbannten, als „Bannstadt“ gekannt:
„Auf dem Illyrischen Meer nun senkend die Ruder an jenem
Steinernen Mal, das dich, blonde Harmonia, deckt,
192 Schneider, Imendörffer, Mein Österreich, mein Heimatland, Bd. 2, S. 169.
193 Kai Brodersen (Hrsg.), Antike Stätten am Mittelmeer. Metzler Lexikon (Stuttgart,
Weimar 1999), s.v. Pola/Pula (Kroatien), S. 233-235, 233.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832