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von antiken Überresten war aber nicht nur ein Pläsier für mehr oder minder
gelehrte Kunstliebhaber und Kuriositätenjäger. Mit der antiquarischen Be-
schäftigung ging die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Antike
einher, wobei sich diese beiden Bereiche anfangs nur schwer unterscheiden
ließen.214 Gerade Triest ist mit dem Schicksal eines der Gründerväter der
modernen Altertumswissenschaften aufs Engste verknüpft: In Triest musste,
64 Jahre vor Raimanns Aufenthalt dortselbst, Johann Joachim Winckelmann,
der als Begründer der Klassischen Archäologie gilt, sein Leben beschließen.
Auch wenn Raimann von Winckelmann nicht spricht, sei an dieser Stelle
kurz seiner gedacht. Winckelmann, dem homosexuelle Neigungen attestiert
wurden, war am 7. Juni 1768 von einem Koch, den er in einem Gasthaus
kennengelernt hatte, erdolcht worden. Leichtsinnigerweise hatte der Archäo-
loge seinem Mörder die goldenen Medaillen gezeigt, die er nicht lange zuvor
in Wien von der Kaiserin Maria Theresia geschenkt bekommen hatte. (Gut,
dass Raimann offensichtlich nicht wusste, in welche Kalamitäten einen ein
paar Gedächtnis-Medaillen verstricken können.) Der mörderische Koch, der
auf den Namen Francesco Arcangeli hörte, hatte es auf das Edelmetall abge-
sehen; was er aber letztlich erntete, war ein grausamer Tod: Arcangelis Ur-
teil lautete, dass er „von oben nach unten dergestalt gerädert werden sollt,
daß die Seele vom Körper scheide.“ So geschah es denn auch – die Zeit der
aufklärerisch-humanen Reformen des Strafwesens war eben noch nicht ge-
kommen. Winckelmann aber wurde „in der gemeinen Grabstätte einer der
damals bestehenden Bruderschaften“ beigesetzt, seine Gebeine wurden mit
den sterblichen Überresten anderer Menschen vermischt, und schließlich
„kamen sie in das allgemeine Beinhaus, wo sie noch jetzt, aber unkennbar
und vergessen, liegen.“215 Wer heute das im Lapidarium am Stadtberg von
Triest stehende Grabmonument Winckelmanns betrachtet, sei sich dessen
bewusst, dass er vor einem Kenotaph steht. Der Tod Winckelmanns erschüt-
die Familiengeschichte der Sartorio und über ihre Sammeltätigkeit, die sich nicht nur auf
Antiken, sondern auch auf die Hervorbringungen späterer Kunst und Kultur erstreckte.
Für den Hinweis auf die Stellung Triests als ‚Sammlerparadies‘ und für die darüber
geführten Gespräche wie auch für die Literaturhinweise sei dem Archäologen Stephan
Karl mein Dank ausgesprochen.
214 Als Beispiel für ein antiquarisches Werk mit wissenschaftlichem Einschlag soll hier
ein französisches Werk in italienischer Übersetzung genannt werden: Luigi Vaslet, Intro-
duzzione alla scienza delle antichità romane (Venedig 1738).
215 Domenico de’Rossetti, „Johann Winckelmanns letzte Lebenswoche“, zit. nach: Horst
Rüdiger (Hrsg.), Winckelmanns Tod. Die Originalberichte (Wiesbaden 1959), S. 57, 62.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832