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Von Céneda, wo Raimann einen marmornen Bürgersteig bewundern konnte,
der „ohne weiters als Fußboden einen Pallastsal zieren würde“, und von
Serravalle ging die Fahrt weiter nach Norden ins Gebirge hinein, über Santa
Croce und Capo di Ponte (wohl Ponte delle Alpi) nach Belluno. Raimann
teilt uns mit, dass das damals etwa 4000 Einwohner zählende Belluno, wo er
von 19. bis 22. Juni 1832 verweilte, „ziemlich groß, im italienischen, insbe-
sondere venezianischen Style gebaut“ war – und dem ist auch heute noch so:
„Venezianisch geprägt sind die Paläste der Provinzhauptstadt Belluno […].
Entscheidend für die Ausbildung des heutigen Stadtbildes wurde die Zeit der
Renaissance, nachdem sich Belluno freiwillig Venedig unterworfen hatte
(1404). Es entstanden Laubengänge, zahlreiche Paläste, aber auch die typi-
schen Brunnen Bellunos.“222 Raimann erwähnt die mit dem venezianischen
Hoheitszeichen, dem Markuslöwen, gezierte Burg und das Rathaus (gemeint
ist wohl der Palazzo dei Rettori), die Domkirche (Santa Maria Assunta) und
das „väterl. Haus Sr. Heiligkeit des jetzigen Pabstes“, also des von 1831 bis
1846 die katholische Kirche leitenden Papstes Gregor XVI. Über die kunst-
historisch relevanten Bauwerke Bellunos lässt sich Raimann nicht weiter
aus, dafür aber bietet er uns einen wunderbaren Einblick in die Lebensweise
seiner Bewohner und in deren Charakter, wie Raimann ihn eben erkennen zu
können glaubte. Die von Raimann festgestellten Charaktereigenschaften der
Bürger von Belluno werden im Volksmund den Italienern bisweilen auch
heute noch zugeschrieben:
„Die Einwohner, unter ihnen viele von altem Adel, sind sehr lebhafte, redse-
lige, laute Italiener, mitunter sehr neugierig, sogar zudringlich; das weibliche
Geschlecht im Ganzen genommen nicht mehr von jener regelmäßigen Ge-
sichtsbildung, wie in Istrien und in dem von Triest bis hierher durchgereisten
venetianischen Gebiethe.“
Laute, muntere, gesprächige und neugierige Italiener also, und die Frauen
von nicht mehr so schönem Antlitz wie die in Istrien und in Triest. (Viel-
leicht waren die Frauen Bellunos dafür aber schöner gestaltet als ihre östli-
chen Konkurrentinnen, deren „Schultern, Hände u Füße“ Raimann ja als
„breit und stark“ beschrieben hatte.) Das bringt uns zurück zu einer Thema-
tik, die wir schon weiter oben, bei Raimanns ethnographischer Skizze der
Bevölkerung Istriens, kurz angesprochen haben: Die Zuschreibung von so-
genannten Volkscharakteren und sozusagen kollektiven physischen Merk-
222 Klaus Zimmermanns, Venetien. Die Städte und Villen der Terraferma. Unter Mitar-
beit von Andrea C. Theil (Ostfildern ³2005), S. 301.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832