Seite - 179 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Bild der Seite - 179 -
Text der Seite - 179 -
179
Bauwerk italienischen Stils vor sich, was ihn an die bisher auf der Reise
besichtigten Kirchen erinnert haben mag:
„Der an deutschen Barock gewöhnte Betrachter wird beim Betreten des In-
nern befremdet sein, denn die reiche Verwendung von vergoldeten Stuckatu-
ren und dunklem Marmor verleiht dem Dom eine Atmosphäre düsterer Feier-
lichkeit, die vom schweren italienischen Barock geprägt ist und kaum etwas
mit der puttenstrotzenden Herrlichkeit süddeutscher Barockkirchen gemein
hat. Der monumentale, einschiffige Innenraum mit seitlichen Altarkapellen,
halbrundem Chor und kurzen Querschiffen wird beherrscht von den Decken-
fresken des genialen Paul Troger. Er bannte im Chor (Himmelfahrt Mariens),
in den Kreuzarmen (Hl. Kassian), über der Orgel (Engelskonzert) und im
Langhaus mit dem über 250 m² großen Fresko der Anbetung des Lammes
Meisterwerke barocker Malerei auf den Verputz; sein Fresko in der Vierung
wurde 1895 sehr zum Schaden der Gesamtwirkung durch eine neubarocke
‚Göttliche Weisheit‘ ersetzt.“237
Auch Kunsthistoriker bezeichnen also, wie Raimann, die Fresken der Brixe-
ner Domkirche als Meisterwerke. Damit war Raimanns Kulturprogramm in
Brixen aber auch schon abgeschlossen; nun wandte er sich wieder seinen
beruflichen Interessen zu. Ein Spital und das Zwangs-Arbeitshaus wurden
besucht, ersteres war „gut gebaut“, letzteres „ungeachtet einiger feuchter
[und] kaum ohne Nachtheil zu benützender Ubikationen zu ebener Erde
hinlänglich geräumig.“ Im Arbeitshaus wurden 28 Insassen festgehalten, und
etwa 70 „brotlose Menschen“ wurden für Spinn- und Webarbeiten extern
betreut und bezahlt – das Arbeitshaus war nicht nur eine gefängnisähnliche
Disziplinierungsinstitution, sondern stellte eben auch eine Art Vorläufer des
Arbeitsmarktservices dar. Besonders angetan hatte es Raimann aber das vor
Brixen gelegene Taubstummen-Institut, das als „großes Geschenk von einem
Wohlthäter“ 1830 gegründet worden war und sich durch besondere und da-
mals ungewöhnliche pädagogische Methoden auszeichnete. Ein geistlicher
Lehrer und ein weltlicher Gehilfe betreuten 20 taubstumme Schüler, die vor
allem sprechen bzw. sich anderen Menschen verständlich zu machen lernen
sollten, um so „selbst im bürgerl[ichen] Leben früher und leichter verwen-
det“ werden zu können. Raimann war ob dieser auf gesellschaftliche Integra-
tion der Taubstummen abzielenden Pädagogik erstaunt, offensichtlich stand
die selbständige Lebensführung der Taubstummen „in Wien und ander-
wärts“ auf dem Unterrichtsplan keineswegs ganz oben. Raimann berichtet,
dass die Fortschritte in der Sprachkompetenz der so unterrichteten taub-
237 Pippke, Leinberger, Südtirol, S. 67.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832