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stummen Schüler beträchtlich waren, ohne dass das Lesen, Schreiben und
Rechnen sowie die „Entwickelung abstrakter Begriffe“ zu kurz gekommen
wäre. Ein vorbildliches Institut, das leider eine Ausnahme dargestellt zu
haben scheint.
Um Brixen gedieh viel Wein und der Roggen näherte sich seiner Reife, und
dennoch musste Raimann weiter ziehen. Die kaiserliche Reisegesellschaft
fuhr das Eisacktal hinab bis Bozen/Bolzano (hier war die Roggenernte schon
in vollem Gange) und dann, der Etsch folgend, weiter nach Meran/Merano.
Das Etschtal zwischen Bozen und Meran war zwar „zur Hälfte feucht und
sehr sumpfig“, dennoch empfand es Raimann als angenehm und mit mildem
Klima gesegnet. Im Norden leuchteten zwar die Gletscher von den Bergen
herab, aber diese hohen Berge hielten, so wusste Raimann, auch die kalten
Nordwest- und Nordostwinde ab, und die „Sonnenstrahlen können daher in
dieses Thal umso wohlthätiger wirken“. Raimann bemerkte, dass hier Ge-
treide, Obst und Wein bestens gediehen, und bei Bozen fielen ihm die zahl-
reichen Kastanienbäume und aus Weinreben gestaltete Laubengänge auf.
Diese grünen Laubengänge führten durch die Weingärten und „geben ange-
nehmen Schutz gegen die heißen Sonnenstrahlen, haben ein sehr einladendes
Aussehen, welches ihnen die Natur und sinniger Menschenfleiß gibt, u
biethen sehr anmutige, in ihrer Art einzige Spatziergänge dar, deren Vergnü-
gen ich mir zwey Male verschaffte, u sehr gern mit meinen Lieben getheilt
hätte.“ Nach mehr als eineinhalb Monaten Reisezeit schien Raimann seine
Familie bereits sehr zu vermissen.
Bei Meran öffnet sich ein Tal nach Norden, das den Namen Passeier trägt
und als Heimat des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer berühmt ist. Rai-
mann bezeichnete Hofer als „den Sandwirth und im J. 1809 Oberkomman-
dant der Tiroler“ und spricht damit ein Thema an, das zu einem der großen
Mythen der Habsburger-Monarchie werden sollte und auch heute noch tief
im Tiroler Selbstverständnis verwurzelt ist: Andreas Hofer war der Held, der
zu Zeiten bayrisch-französischer Fremdherrschaft in Tirol (Tirol war ja 1805
von Napoleon dem Königreich Bayern zugeschlagen worden) dem Kaiser
Franz in Wien die Treue hielt und als Kommandant der aufständischen Bau-
ernmilizen den Kampf mit den Besatzern aufnahm. Im Jahre 1809 begannen
die Tiroler einen Volksaufstand gegen Bayern und Franzosen und stellten
sich am Bergisel bei Innsbruck mehrmals zur Schlacht. Wir wollen die Er-
eignisse hier von einer habsburgtreuen Stimme schildern lassen, die im Jahr
1914, am Vorabend des großen Krieges, der das Ende der Monarchie brin-
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832