Seite - 184 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Bild der Seite - 184 -
Text der Seite - 184 -
184
ximilian I. verklettert haben. Die Geschichte ist diese: Maximilan, der ein
großer Jäger war, achtete bei der Verfolgung des Wildes nicht auf den rech-
ten Weg – und fand sich in aussichtsloser Lage mitten in der Martinswand
wieder, wo er zu spät bemerkte, dass er nicht vor und auch nicht mehr zu-
rück, nicht hinauf und nicht hinunter konnte. Schon war er resignierend be-
reit, die Ausweglosigkeit seiner Lage anzuerkennen und sich in sein Schick-
sal zu fügen, da näherte sich ihm plötzlich ein Jüngling in Bauerntracht, der
ihn sicher aus der Felswand führte und hernach sogleich verschwand. Dem
Kaiser war klar: Das konnte nur ein Engel gewesen sein, und so ließ er aus
Dank für seine göttliche Errettung ein vierzig Schuh hohes Kreuz in einer
Höhlung der Wand aufstellen, das man auch heute noch dort bewundern
kann.242 Die späteren Habsburger, denen das Gefühl, sich in einer ausweglo-
sen Lage zu befinden, wohl auch nicht unbekannt war, besuchten die Stätte
der wunderbaren Rettung ihres kaiserlichen Ahnherrn gerne – die Felswand
mag ein Sinnbild dafür gewesen sein, dass eine Dynastie, die sich von Gott
zur Herrschaft über die Völker berufen sah, in brenzligen Situationen von
Gott auch Hilfe erwarten durfte. Weniger frommen Gemütern schien die
Lage des Kaisers in der Martinswand aber gar nicht so brenzlig gewesen zu
sein; so schreibt etwa Goethe, der auf seiner Reise nach Italien im Jahr 1786
der Wand einen Besuch abstattete: „Zu dem Platze, wohin Kaiser Maximili-
an sich verstiegen haben soll, getraute ich mir wohl ohne Engel hin und her
zu kommen, ob es gleich immer ein frevelhaftes Unternehmen wäre.“243
Nun, über die Ängste anderer ist leicht spotten.
Die nächste Station auf Raimanns Reise war die Hauptstadt der gefürsteten
Grafschaft Tirol, das nach Raimanns Angaben 12.000 Einwohner zählende
Innsbruck. Als erstes berichtet er von der Besichtigung der kaiserlichen Hof-
burg dortselbst. Besonders beeindruckten ihn die in der Hofkirche aufgestell-
ten „28 aus Bronce gegossenen Statuen, Portraits hoher Häupter, zwischen 8
schönen Säulen von rothem tiroler Marmor.“ Diese Statuen bringen uns wie-
der zurück zu Kaiser Maximilian I., den wir soeben als ungeschickten Klet-
terer kennengelernt haben, waren sie doch Bestandteile des Grabmonuments,
242 Zur Geschichte von Kaiser Maximilian in der Martinswand vgl. http://www.sagen.at.
Zur Martinswand vgl. http://www.kematen.org/martinswand.htm; eingesehen am 27.
März 2008.
243 Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise. Mit 80 Tafeln nach alten Kupfern he-
rausgegeben von Alfred Kuhn (München 2000; ND der Ausg. 1925), S. 16.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832