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Nicht weit von Innsbruck entfernt liegt die Stadt Hall, die ihren Namen vom
dort einst abgebauten Salz ableitet. Aus Hall stammte auch der bereits er-
wähnte Josef Speckbacher; er „stand mit seiner strategischen Begabung als
wichtigster Mitstreiter in den Tiroler Freiheitskämpfen von 1809 an der Seite
Andreas Hofers.“252 Doch weder Speckbacher noch die ehemalige Bedeu-
tung der Stadt als Handelsstadt oder die gut erhaltene alte Bausubstanz
weckten Raimanns Interessse an Hall – ihn führte eine in jenen Jahren neu
errichtete Irrenanstalt dorthin. Raimann schildert Unterbringung und Be-
handlung der Geisteskranken. Sein Bericht gibt ein plastisches Bild von ei-
ner damals als modern geltenden Irrenanstalt. Zunächst die baulichen Cha-
rakteristika: Die Fenster, zumindest die im Erdgeschoß, waren fest vergittert,
die Zimmer waren für die Unterbringung von etwa acht Kranken vorgese-
hen, und im Innenhof gab es einen Garten. Die Insassen wurden von einem
Oberaufseher, „welcher Soldat war“, zum Marschieren und Exerzieren an-
gehalten – wie für Kriminelle, so galt auch für Geisteskranke militärische
Disziplin als heilsam. Aber auch Lesen, Schreiben und Rechnen und die
„Wiederholung des Inhaltes des von ihnen der Reihe nach Vorgelesenen“
wurden geübt und durch den gezielten Einsatz von Belohnungen gefördert.
Täglich gab es eine katholische Messe, und sonntags auch eine Predigt, und
in ihrer Freizeit durften die Irren mit Bolzen schießen und Lotterie spielen.
Unter der Woche aber mussten die Männer, die zwei Drittel der Insassen
ausmachten, häusliche Arbeiten verrichten, und „die weiblichen insbesonde-
re spinnen überdies“, und zwar Wolle und Zwirn. Die Reinigungs- und Gar-
tenarbeiten wurden ebenfalls von den Insassen verrichtet. Die Irren wurden
nur selten medikamentös behandelt; der Direktor der Haller Irrenanstalt, Dr.
Pascoli, hielt „sich mehr psychisch an das Prinzip, die Irren zu erziehen u zu
bilden.“ Dennoch gab es eine „Drehmaschine“ und ein „Sturzbad“, Vorrich-
tungen, mit denen Irre, die außer sich geraten waren, zur Raison gebracht
werden sollten. Unter den in der Irrenanstalt Untergebrachten fanden sich
auch sogenannte Onanisten. Nun ja, Personen, die ihre sexuellen Begierden
nicht unter Kontrolle haben und hemmungslos und vielleicht auch noch öf-
fentlich onanieren, werden, damals wie heute, wohl nicht zu Unrecht als
geisteskrank angesehen. In seinem „Handbuch der speciellen medicinischen
Pathologie und Therapie“ reihte Raimann den übermäßigen Geschlechtstrieb
unter die Nervenkrankheiten ein. Er bezeichnete diese Geisteskrankheit bei
252 Barbara Knofalch-Zingerle, Brigitte Watzek, Gerhard Watzeck, Hall in Tirol. Der
Stadtführer (Innsbruck 2005), S. 38.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832