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Männern als „Satyriasis“, und bei Frauen als „Mutterwut“, und führte dazu
aus:
„Der übermäßige, d. i. Vernunft und Willen überwältigende, und den Körper
zerstörende Geschlechtstrieb wird bey männlichen Individuen satyriasis, bei
weiblichen Mutterwuth (Mann-Tollheit, furor uterinus, nymphomania, hyste-
romania) benannt. Er ist bey Männern mit oftmahligen wollüstigen Steifwer-
den des Gliedes, manches Mahl mit Spannung in den Hoden, bey Frauen-
zimmern mit heftigem Jucken, großer Hitze, Geschwulst der Schaamtheile,
bey beyden Geschlechtern mit unbändiger Gierde nach sinnlichem Genusse,
stätem Hange, die Schamtheile zu reitzen, mit großer Unruhe, Schlaflosigkeit,
heftigen Wallungen, Durste, zeitweiliger Niedergeschlagenheit verbunden,
und geht im höchsten Grade und bey Nichtbefriedigung in Schamlosigkeit,
Wahnsinn und Raserey über. Weit öfter ist er ein chronischer als ein acuter,
und gewöhnlich ein symptomatischer Zustand. […] Die früheren oder späte-
ren Wirkungen dieser Krankheit sind für den Geist: Schwäche der Sinne,
Vergeßlichkeit, Blödsinn, Tobsucht, Schlaflosigkeit, vieles Träumen, Irrere-
den; für den Körper: Mangel an Eßlust und Verdauung, Hartleibigkeit, un-
willkürlicher Samenausfluß, stark riechende Schweiße, Magerkeit, Nerven-
schwindsucht.“253
Unkontrollierbare Lust ist wahrlich ein Verhängnis; eine Besserung konnte
laut Raimann nur durch „angemessene Beschäftigung und hierdurch bewirk-
te Zerstreuung, und durch vernünftige Belehrung“ herbeigeführt werden.254
Bis diese vernünftige Belehrung aber griff, wurden in der Irrenanstalt von
Hall den Onanisten „die Hände in steifledernen, in ein Stück vereinigten
Handschuhen, die an den Armen befestigt werden, auf eine sehr einfache Art
verwahret.“ Sollten die so ihrer Bewegungsfreiheit beraubten Satyriasis-
oder Mutterwut-Kranken dennoch der Tobsucht verfallen, nun, so gab es
immer noch Drehmaschine und Sturzbad.
Am 10. Juli 1832 reisten der Kaiser und in seinem Gefolge auch Raimann
weiter, die Fahrt führte am rechten Ufer des Inn entlang über Volders und
Schwaz (wo Raimann eine weitere Zwangsarbeits-Anstalt besichtigte) bis
Rattenberg (wo der Besuch einer nur mäßig florierenden Messingfabrik am
Plan stand). Bei Wörgl verließ die Reisegesellschaft das Inntal, die Route
führte nun über Söll, Ellmau und St. Johann nach Kitzbühel, wo man am 11.
Juli um die Mittagszeit ankam. In Kitzbühel besah Raimann das Versor-
253 Raimann, Handbuch, Bd. 2, S. 572.
254 Raimann, Handbuch, Bd. 2, S. 573.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832