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Der Weltfrieden blieb trotz der zunehmenden Bedeutung der Eisenbahn in
weiter Ferne; was aber mit ihrer Hilfe tatsächlich schneller erreicht werden
konnte, das waren die diversen Fronten in den größeren und kleineren Krie-
gen, die die Geschichte Europas im 19. und 20. Jahrhundert gestalteten – das
Militär wusste die Möglichkeiten der Eisenbahn sehr wohl zu nutzen.283
Raimann hatte bei seiner Eisenbahnfahrt am 22. Juli 1832 weder von der
utopisch-heilsgeschichtlichen noch von der realgeschichtlich-apokalyp-
tischen Dimension der Eisenbahn eine Vorahnung – er hatte es aber auch
bloß mit einer Pferdebahn zu tun, die nur in sehr beschränktem Maße als
Symbol für eine neue Zeit dienen konnte. Ob der von Pferden gezogene Wa-
gen auf einer Straße oder aber auf Schienen rollt, macht schließlich nur einen
Unterschied dem Grade, nicht dem Wesen nach. Von umwälzenden techni-
schen Neuerungen konnte Raimann jedenfalls nicht berichten: „Der Bau der
Eisenbahn ist sehr einfach so wie der entsprechende Mechanismus der Wa-
genräder aus Gußeisen, welche man aus dem kaiserl Gußwerke bei Maria-
Zell bezieht.“ Freilich war die Steigerung der Transportkapazität beachtens-
wert, mit wenigen Pferden konnte man nun schwere Lasten relativ schnell
und kostengünstig fortbewegen: „Zwey Pferde sind, wie man mir versicher-
te, im Stande, 3 an einander gehängte, zusammen wenigstens 40 Centner
wiegende Wägen mit einer Ladung von 180 Centnern ohne sonderliche An-
strengung, und in der Ebene sogar im Trabe gehend, fortzuschaffen.“ Aber
das noch viel größere Potential, das in einer Kombination der Schiene mit
der Dampfmaschine lag, hat Raimann, anders als sein Zeitgenosse, der Ei-
senbahnvisionär Gerstner, nicht erkannt. Die Ära der Postkutschenreise aber
neigte sich so oder so ihrem Ende zu; und mit ihr, wenn auch verzögert, die
Ära der absolutistischen Monarchie. Die Eisenbahn sollte ja auch und nicht
zuletzt zu einem Symbol demokratischer oder gar revolutionärer Gesinnung
werden: „Daß die Eisenbahnen, die alle bisherigen Stände in vier Klassen
mit gleicher Geschwindigkeit befördern, eine demokratisierende Wirkung
auslösten, das wird selbst von den Gegnern dieses Vehikels gesehen und
befürchtet. Die Eisenbahnen als Inauguratoren des Zeitalters der Gleichheit
gehören zur Topologie.“284 – Nun ja, solche angeblichen allgemeingültigen
Erkenntnisse lassen sich im Nachhinein leicht postulieren. Hätte Kaiser
Franz I. ebenfalls das Privileg der Sicht ex post genossen, er hätte die Pfer-
283 Zur militärischen Funktion der Eisenbahn vgl. Roth, Das Jahrhundert der Eisenbahn,
S. 44f.
284 Koselleck, Zeitschichten, S. 160f.
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832