Seite - 15 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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Direktion von Joseph Rosa einsetzte. Einen wesentlichen Fund stellt ein Dokument dar, das
beweist, dass die kaiserliche Galerie bereits im Jahr 1777 für ein breites Publikum geöffnet
worden war. Das Dokument bestätigt die wenigen schriftlichen Quellen, die von einer kurz
vor der Ankunft Mechels vorgenommenen Neuordnung der Gemälde durch Direktor Rosa
berichten.11
Auf die genannten Aufsätze und Archivalien folgt die ebenfalls bereits erwähnte, von
Nora Fischer erstellte Visualisierung von 22 Galerieräumen mit insgesamt 1222 Gemälden
gemäß den Angaben des Mechelschen Katalogs von 1783. Obwohl die Anordnung der
Gemälde in den einzelnen Zimmern nicht zweifelsfrei rekonstruiert werden kann, war es
möglich, ausgehend von begründeten Annahmen und mit Hilfe eines von Tristan Weddi-
gen zur Verfügung gestellten Computerprogramms ein hypothetisches Zustandsbild zu
erstellen. Dieses Zustandsbild vermittelt anschaulich, wie sich die Wiener Gemäldegalerie
in dieser Zeit präsentiert haben dürfte. Der Rekonstruktion ist ein aus 1780 oder 1781 da-
tierendes Dokument beigelegt, dem zu entnehmen ist, dass auch die Mechelsche Neuauf-
stellung – darin vorangegangenen Präsentationsformen vergleichbar – den ausgestellten
Kunstwerken materielle Opfer abverlangte. Es zeigt sich nämlich, dass man sich auch im
späten 18. Jahrhundert nicht scheute, an Bildträgern Beschneidungen oder Ergänzungen
vorzunehmen. Den Abschluss des Bandes bildet eine Liste, die darüber Aufschluss gibt, wie
viele und welche der im Verzeichnis von 1783 genannten Gemälde heute im Kunsthistori-
schen Museum aufbewahrt werden. Es bleibt zukünftigen Forschungen vorbehalten, die
derzeitigen Aufenthaltsorte derjenigen Gemälde systematisch zu verzeichnen, die in dieser
Liste fehlen; die meisten von ihnen dürfen in Florenz (Bildertausch 1792/93) und Frank-
reich (Napoleonischer Kunstraub) vermutet werden.
In Band 2 wird jene Erweiterung des historischen Blickwinkels vollzogen, die notwen-
dig ist, um die historische Signifikanz der in Wien so früh durchgesetzten Neuerungen er-
messen zu können. Mit Christian von Mechel, dem europaweit vernetzten Kupferstecher,
Verleger und Kunstkenner wurde ein bürgerlicher ‚Fachmann‘ mit der Neuordnung und
Katalogisierung einer Gemäldegalerie betraut, die kurz zuvor aus dem höfischen Repräsen-
tationszusammenhang entbunden und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht
worden war. Dass dieser Experte aus Basel kam, ist vielleicht kein Zufall; immerhin verfüg-
ten die Bürger dieser Stadt schon im 17. Jahrhundert über eine Bibliothek, die auch eine
umfangreiche Sammlung von Kunstwerken einschloss. Die Berufung Mechels nach Wien
hatte freilich andere Gründe; sie geschah zweifellos unter dem Eindruck eines von ihm
1778 publizierten Galeriewerks, das den Bestand der damals berühmten Düsseldorfer Ga-
lerie verzeichnete. Überhaupt knüpfte man in Wien an Konzepte an, die an anderen Or-
ten, beispielsweise in Düsseldorf und Dresden, ansatzweise entwickelt, aber nicht konse-
quent umgesetzt worden waren. Zu diesen Konzepten gehört die Öffnung der Galerie ge-
genüber einem stark erweiterten Publikum, eine auf Bildung abzielende Adressierung
dieses Publikums sowie die Hängung der Gemälde nach ‚Schulen‘ und entwicklungsge-
schichtlichen Gesichtspunkten. Gleichzeitig mit Mechels Aktivitäten in Wien entstand eine
museologische Debatte, die ihrerseits auf nachfolgende Neuaufstellungen von Sammlun-
gen oder Neugründungen von Museen Einfluss hatte.
Eröffnet wird der zweite Band mit einer gesamteuropäischen tour d’horizon zu „Muse-
umskulturen“ von GERHARD WOLF. Angesichts einer immer stärker ins Detail gehen-
den museumsgeschichtlichen Forschung spricht sich Wolf für Horizonterweiterungen und
eine bewegliche, dialektische Sicht auf den Umbruch der europäischen Museumskultur in
der Zeit um 1800 aus. Dieser Umbruch brachte zahlreiche Komplikationen mit sich, und
bei jedem seiner Aspekte müssen andere Seiten bedacht, immer auch Verlustrechnungen
aufgemacht und Aporien aufgezeigt werden. Die neuen museologischen Ordnungssche-
mata, die schon bald weit über die Geschichte der europäischen Malerei hinauswiesen,
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur