Seite - 17 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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einen altertümlichen Eindruck. Die Unterbringung der Galerie in einem suburbanen
Barockschloss wurde im 19. Jahrhundert zum Anachronismus. Auch der spät verwirklichte
Bau des Hauses am Ring (eröffnet 1891) war, von auswärts betrachtet, keineswegs ge-
wöhnlich. Denn während man anderswo in Europa dazu tendierte, durch neuerrichtete
Museumsgebäude Unabhängigkeit von den alten Machtzentren zu demonstrieren – man
denke an die Nationalmuseen in London oder Amsterdam, die sich als bürgerliche Institu-
tionen herausgebildet hatten –, blieb in Wien der Gesichtspunkt dynastischer Repräsenta-
tion noch im ausgehenden 19. Jahrhundert erhalten.
Die übrigen neun Beiträge des zweiten Bandes gehen in vielfältiger Weise zwei Motiven
nach, die für Mechels Museumskonzept zentral waren. Zunächst wird nach den historischen
Voraussetzungen und Implikationen des Begriffs der Schule gefragt. In diesem Zusammenhang
werden auch andere Ordnungsbegriffe und -instanzen in den Blick gerückt, die um 1800 auf
den Plan traten, um die Museumskultur des 19. Jahrhunderts maßgeblich zu bestimmen.
Die unterschiedlichen Anregungen, die Mechel lange vor seiner Berufung nach Wien
aufnahm und zu verarbeiten wusste, sind Thema des Beitrags von ELISABETH DÉCUL-
TOT. Zwei Jahrzehnte bevor er zusammen mit Nicolas de Pigage den berühmten, mit
Illustrationen versehenen Katalog der Düsseldorfer Galerie herausgab, verbrachte er seine
Lehrjahre in Paris. In der Akademie und Werkstatt von J.G. Wille erlernte er nicht nur die
Kunst des Stechens, er sammelte auch Erfahrungen im Kunsthandel und im Umgang mit
Kunstliebhabern. Grundlegend für den von ihm entwickelten Schulbegriff und die syste-
matische Anwendung des Stils als taxonomische Kategorie der Kunstgeschichte sollte
schließlich die Lektüre von Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums sein.
Wo der Begriff der Schule beschworen wird, kann es nicht nur ums Vergnügen gehen.
KRISTINE PATZ sieht das öffentliche Kunstmuseum insgesamt zwiespältig: Während es
einerseits mit einer Demokratisierung der Bilder und des Publikums einher ging, bewirkte
es andererseits deren Disziplinierung. Zum einen suggerieren die neuartigen Organisa-
tionsprinzipien und Strukturen der Sammlungen, dass für den Betrachter das schulische
Ordnungssystem empirisch am Material verifizierbar sein sollte (wobei nummerierte und
beschriftete Bilderrahmen als Scharniere zum begleitenden Katalogtext dienten), zum an-
deren muss aber auch festgestellt werden, dass das Ordnungssystem eine nicht verhandel-
bare Vorgabe war, die sich der Museumsbesucher als guter Staatsbürger zu eigen machen
sollte. Wie Patz weiter zeigen kann, blieb im 19. Jahrhundert in ganz Europa, was die
Sammlungen italienischer Malerei betrifft, das Schulmodell von Mechels Zeitgenossen
Luigi Lanzi verbindlich. Indem der Begriff der Schule mit der Ausbildung von Nationen
eine Allianz einging, konnte die Präsentation der jeweils eigenen Malerschule (z.B. in Eng-
land und Frankreich) zumindest anfänglich dann zu einem Dilemma werden, wenn die
Schule in der traditionellen Kunstliteratur nicht oder nur rudimentär vorkam.
Was die Galerie im Wiener Belvedere betrifft, so hatte Mechel in der Großgliederung des
Gemäldebestandes drei Nationalschulen unterschieden: die italienische, niederländische und
die deutsche. Der entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkt seiner Aufstellung trat insbeson-
dere im Obergeschoß der Galerie hervor: Die Betrachtung der dort aufgestellten deutschen
Schule sollte dem Besucher einen Einblick in die Entwicklungslinie der deutschen Kunst von
ihren Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ermöglichen. Die topische Auffassung
von Geburt und Wachstum biologischer Prägung, der auch die Vorstellung der unvermeid-
lich dritten Stufe, des Verfalls, inhärent war, wird bei Mechel überlagert vom Beleg der Kraft
nationaler Repräsentation in der Gegenwart. SABINE GRABNER legt dar, dass dieser spe-
zifische Schwerpunkt unter veränderten politischen Bedingungen auch bei den nachfolgen-
den Direktoren der Belvederegalerie, Friedrich Heinrich Füger, Josef Rebell und Johann Peter
Krafft, die durchwegs Maler waren, erhalten blieb und sich im 19. Jahrhundert zu einem
wichtigen Instrument der Förderung und Präsentation zeitgenössischer Kunst entwickelte.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur