Seite - 19 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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realisierbaren Katalog heraus: Sie ließen nicht einzelne Bilder, sondern die ganzen Wände
der Galerie reproduzieren. Dieser Katalog war zwar kein verlegerischer Erfolg (die Zeitge-
nossen reagierten skeptisch, weil die Abbildungen so klein waren), er darf aber als der ers-
te in Buchform publizierte Sammlungskatalog gelten, der auf solche Weise illustriert ist,
dass sich ein historisch verlässliches Zustandsbild einer Sammlung und ihrer Präsentation
ergab. Es ist vor allem diese Dominanz der Ordnungsstruktur über das Einzelwerk, die his-
torisch zu denken gibt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Etablierung einer wissenschaftli-
chen Disziplin namens Kunstgeschichte.
Von den Anfängen dieser Disziplin und ihrem Umgang mit Bildern handelt der folgen-
de Beitrag von GABRIELE BICKENDORF, die einen wissenschaftsgeschichtlichen Blick
auf das Sehen in der Kunstgeschichte wirft. Sie stellt die Frage, in welcher Form die Ge-
schichte der Kunst in Bildern gedacht und erdacht wurde. Im Zentrum von Bickendorfs Un-
tersuchung steht das Spannungsverhältnis zwischen historiographischen Modellen und je-
nen Formen der Visualisierung, die in kunsthistorischen Schriften entwickelt wurden. Den
Ausgangspunkt bildet mit L’Etruria pittrice (1791) von Marco Lastri ein kunsthistorisches
Werk, das die Geschichte der toskanischen Malerei als Bildband vorstellte. Bei Lastri über-
nehmen die Reproduktionen – nicht etwa ein narrativer Text – die Funktion, einen histori-
schen Verlauf sinnfällig erscheinen zu lassen. Hier wurde im Rekurs auf die Konstruktions-
prinzipien der älteren Florentiner Kunstliteratur das methodisch gesteuerte Sehen in Form
der „oculare ispezione“ (Malvasia) zur Grundlage einer „sichtbaren Geschichte der Kunst“.
Zu den wichtigsten Mitteln einer genuin visuellen Evidenzerzeugung, die in Galerien
ihre Wirkung entfalteten, gehört zweifellos die Pendanthängung. Sie hat die europäische
Museumskultur über Jahrhunderte bestimmt und lebt zum Teil heute noch fort. Für
FELIX THÜRLEMANN handelt es sich um einen speziellen Fall dessen, was er das „Hy-
perimage“ nennt: die Kunst nämlich, Bilder so zusammenzustellen, dass sich Sinneffekte
ergeben, die im Rahmen einer Theorie der Diagramme analysiert werden können. Die
Pendanthängung hatte, wie Thürlemann ausführt, zwei Gesichter: Während die sym-
metrischen Flügel der „Überbilder“ die Ausbildung eines vergleichenden Sehens und da-
mit, lange bevor dies Malraux diagnostizieren sollte, einer Intellektualisierung der Kunst
beförderten, war mit der Mittelachse des Systems eine ikonische Komponente gegeben,
der ein identifizierender Blick entsprach. Im 20. Jahrhundert wird dieses System sukzessive
auseinander brechen, so dass entweder das identifizierende oder das vergleichende
Sehen verabsolutiert wird. Thürlemann plädiert für eine Neubewertung der Pendanthän-
gung, die sowohl ihrer bildtheoretischen Komplexität wie auch ihrem pädagogischen
Wert gerecht würde.
Um die spezifischen Leistungen von Bildzusammenstellungen und eine Möglichkeit,
sie theoretisch zu fassen, geht es auch im letzten Beitrag des Bandes. Wenn, wie man es in
der Gegenwart häufig beobachten kann, die Hängung nach Schulen aufgegeben oder
durchbrochen wird und Konfrontationen mit Werken zeitgenössischer Kunst oder über-
haupt anachronistische Zusammenstellungen versucht werden, muss man Gelungenes
von weniger Gelungenem unterscheiden und überlegen, auf welcher Grundlage solche
Unterscheidungen getroffenen werden können. WOLFGANG ULLRICH fragt daher
nach Ansatzpunkten zu einer Theorie erhellender Gegenüberstellungen. Er schlägt vor,
solche Vergleiche in Analogie zu geglückten Metaphern zu betrachten, bei denen es, folgt
man Max Blacks Metapherntheorie, zu dynamischen Prozessen einer wechselseitigen Er-
hellung zwischen den beiden Komponenten des Vergleichs kommt. Ullrich überlegt aber
auch, ob man nicht bald wieder, wie einst Paul Valéry, den Blick auf dekontextualisierte
Werke bevorzugen wird. Es sei nämlich festzustellen, dass sich die in der jüngeren und
jüngsten Vergangenheit veranstalteten crossover-Ausstellungen in den seltensten Fällen als
erhellend erwiesen haben.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur