Seite - 28 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
in der Raumabfolge der Kabinette und Säle, in aufsteigender Chronologie, auf Kaiser Leo-
pold I., Erzherzog Leopold Wilhelm, Kaiser Karl V. bis hin zu Kaiser Karl VI. am Ende des
Parcours bezogen.12 Mit Francesco Solimenas Dedikationsbild, Gundacker Graf Althan
überreicht Kaiser Karl VI. das Inventar der kaiserlichen Gemäldegalerie von 1728 endet der
Rundgang und war der Höhepunkt erreicht. In deutlicher Berufung auf seine Vorgänger
stilisierte sich Karl VI. in der Inszenierung der Galerie mithin in einer lang angelegten Kon-
tinuität habsburgischer Hegemonie und Sammeltätigkeit als Novus Carolus V.13 und in der
Nachfolge des eigentlichen Spiritus Rector der Gemäldegalerie, Erzherzog Leopold
Wilhelms, als Schirmherr des habsburgischen Kunstbesitzes.
Das komplexe Bildarrangement an den Wänden der kaiserlichen Galerie – auch dies
verdeutlicht das Storffer-Inventar – war nach den traditionellen Prinzipien barocker Gale-
rien, Symmetrie, Axialität und Zentralisierung aufgebaut. Nach dem sogenannten „Pen-
dantsystem“ wurden die Gemälde entweder paarweise oder achsensymmetrisch um ein
zentrales mittleres Bild angeordnet, bildeten Zweier- oder Dreiergruppen und wurden sol-
cherart zu formal und inhaltlich korrespondierenden Einheiten zusammengefasst.14 Der
Wert des einzelnen Werks im Gesamtarrangement war immer auch ein funktionaler: Die
künstlerische Qualität vorausgesetzt, musste ein Gemälde das passende Format und die
geeigneten kompositorischen Eigenschaften besitzen, um in die sich über die gesamte
Wand erstreckende, dichte Hängung aufgenommen werden zu können. Innerhalb der
symmetrischen, axial ausgerichteten Wandabwicklung war die gezielte Bildung von Ge-
genstücken oder Pendants von großer Bedeutung. Im besten Fall konnte man dazu auf
vorhandene Bildpaare oder -serien zurückgreifen, im schlechtesten passte man das Format
eines Gemäldes an sein ,Gegenstück‘ an – „man flickt, man vergrößert und verkleinert
nach Belieben.“15
Die Kritik von 1763 ist vermutlich weniger auf die zahlreich vorgenommenen Format-
veränderungen der Gemälde zurückzuführen – an diesem Usus wurde, wenn auch weni-
ger rigoros, allgemein bis in das späte 18. Jahrhundert festgehalten –, sondern an der ver-
meintlichen Beliebigkeit, mit der dies bezogen auf die Ordnungsfrage erfolgte. Der Ein-
wand verweist entschieden auf eine neue Sichtweise der kaiserlichen Galerie, die gegenüber
den repräsentativen Sammlungspraktiken habsburgischer Tradition anderen Möglichkei-
ten der Auseinandersetzung mit Kunst den Vorzug gab.
Mit der Umgangsweise, dem Erhaltungszustand und der Ordnung der Gemälde wur-
den vom anonymen Kritiker Aspekte angesprochen, die nicht mehr im Kontext höfisch ze-
remonieller Funktionen stehen, sondern im Zusammenhang kunstwissenschaftlicher Krite-
rien zu sehen sind: Ein Kunstwerk konservatorisch zu beurteilen und stilistisch zu bewer-
ten, es in Folge an einen Künstler zuzuschreiben und/oder einer Kunstlandschaft
einzuordnen, sind Kompetenzen, die sich mit einem zentralen Begriff in der Kunsttheorie
des 17. und 18. Jahrhunderts verbinden lassen: der „Kennerschaft“ oder „Connoisseur-
ship“. Das theoretische Fundament dazu lieferten unter anderen die in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts zur akademischen ,Norm‘ erhobenen Schriften von Roger de Piles,
der versuchte, mittels der Bewertung von vier festgelegten Stilkategorien („composition“,
„dessein“, „colorit“, „expression“) der Qualitätsbestimmung eines Kunstwerks eine ,ob-
jektive‘, wissenschaftliche Grundlage zu geben.16 De Piles verankerte die Stilkategorien im
Modell der Malerschulen: Er unterschied sechs nationale Malerschulen (römische, venezia-
nische, lombardische, deutsche, niederländische, französische Schule), die sich jeweils
durch einen eigenen Geschmack („goût“) auszeichnen würden, der sich wiederum in der
unterschiedlichen Ausprägung der Stilkategorien ausdrücken würde.17 Als das eigentlich
methodische Instrument kennerschaftlicher Anschauung galt ihm der Vergleich zwischen
den Kunstwerken, der in diesem Zusammenhang darauf ausgerichtet war, deren stilisti-
sche Qualitäten zu analysieren.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur