Seite - 40 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
die Mahlereyen in ihre Schulen einzutheilen, wurde allergnädigst aufgenomen und abro-
biret. Meine Einrichtung verschaffte mir die allerhöchste Zufriedenheit, und so verbliebe
die k. k. Gallerie bis 1778.“59 Auch für diese Galerieaufstellung ist kein Dokument überlie-
fert, welches Aufschluss im Detail geben könnte.
Einige wenige zeitgenössische Reaktionen auf die erste Aufstellung im Oberen Belve-
dere sind überliefert: Jean-Etienne Liotard beschreibt die kaiserliche Galerie in einem Brief
vom 9. November 1779 als in jedem Zimmer „superbe“ und nach Malerschulen geord-
net.60 Joseph von Kurzböck wird deutlicher und informiert seine Leser in der Neuesten Be-
schreibung aller Merkwürdigkeiten Wiens von 1779 über die Systematik im ersten und im
zweiten Stock: Die Galerie „[…] bestehet gegenwärtig aus 22 grossen Zimmern, deren 14
im ersten, und 8 im zweyten Stocke sind. Die im ersten Stockwerk sondert ein grosser Sal
ab, so daß also zu jeder Seite sieben grosse Zimmer zu stehen kommen. Man sieht hier
Meisterstücke von den vornehmsten Künstlern Italiens, als einem Paolo Veronese, Titian,
Tintoretto, Giorgione, Palma, Raphael, Cor[r]eggio, Leonardo Davinci, Car[r]ac[c]i, Guido
u.s.w. Im zweyten Stocke sind ebenfalls von den schönsten Gemälden zu finden, worun-
ter viele von holländischen Meistern, als Wuvermann, Berchem, De Hem, Reinbrandt, Van-
dervelden, Muscheron, und andere sind.“61 Demnach wäre die Galerie je nach Stockwerk
in Gemälde der italienischen Malerschulen einerseits und jene der nördlichen Schulen an-
dererseits eingeteilt gewesen.
Für eine solche Gegenüberstellung von cis- und transalpinen Malerschulen bot gerade
die Geschichte der Wiener Gemäldesammlung einen adäquaten Anknüpfungspunkt, hat-
te sich doch nach der Mitte des 17. Jahrhunderts – durch den Ankauf einiger weniger gro-
ßer Sammlungsbestände wie jener des Herzogs von Buckingham oder des Duke of Hamil-
ton begünstigt62 – speziell in der Gemäldesammlung Erzherzog Leopold Wilhelms eine
grundsätzliche Gliederung in nördliche und südliche Schulen gebildet. Die Schwerpunkte
der Sammlung Leopold Wilhelms lagen in Folge seiner Erwerbungen in der veneziani-
schen Malerei des 16. und in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, insbeson-
dere in Gemälden von Rubens und Van Dyck, aber auch in den frühen Niederländern und
ausgewählten Deutschen wie Dürer, Holbein und Cranach. Diese Disposition der Samm-
lung fand ihre anschauliche Umsetzung in Form des Verzeichnisses im vom Hofmaler Jan
Anton van der Baren verfassten Inventar von 165963, das die Gemälde Leopold Wilhelms
entweder der italienischen oder der deutschen und niederländischen Schule zuordnet
(und im dritten Abschnitt die Handzeichnungen, im abschließenden Teil Antike und Skulp-
tur und zuletzt noch die Mirabilia vermerkt). Parallel dazu entstand das von David Teniers
herausgegebene Galeriewerk Theatrum Pictorium (1660)64, das nur die herausragenden
italienischen Stücke (Historiengemälde und Portraits) der Gemäldesammlung reprodu-
ziert.65 (Abb. 19) In Relation zu den geographischen Schwerpunkten der Sammlung stand
konsequenterweise auch die Aufstellung der Gemälde: Nach einer dem Theatrum Pictori-
um vorangestellten und vermutlich ebenfalls von van der Baren verfassten Beschreibung
der Galerieräume wäre man nach den Galeriegängen mit Statuen und Gemälden, meist
mit Landschaften, Naturstücken und Stilleben, nach anderen Sälen und Kabinetten mit
seltenen und kostbarsten (Historien-)Gemälden und nach zwei Galerien mit Feder- und
Kreidezeichnungen der berühmtesten italienischen und flämischen Meister in einen gro-
ßen Saal gelangt, der ausschließlich die bedeutendsten Gemälde niederländischer Meister
versammelte, unter anderen von Quinten Massys, Jan Gossaert gen. Mabuse, Frans Floris,
Rubens und Anthonis van Dyck. Dieser Saal sei würdig – so der Autor – der „Palast der Mi-
nerva“ genannt zu werden. Im Anschluss an die Bibliothek mit Kunstliteratur, die Samm-
lung von Holzstichen und Kupferstichen mit einer großen Anzahl seltener Miniaturen,
habe man zuletzt wieder einen großen Saal, den „merkwürdigsten“ aller Räume, betreten,
in welchem sich nur Gemälde von italienischen Meistern befanden.66
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur