Seite - 45 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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45 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
prompt Interesse bekundete.77 Die von Mechel auf den folgenden Reisestationen des Kai-
sers geschickt weiter forcierte Bekanntschaft brachte ihm 1778 zunächst eine Einladung
Josephs II. nach Wien ein, was schlussendlich im Auftrag zur Neugestaltung der kaiserli-
chen Galerie in Wien münden sollte.
In Wien ging es auf die Bemühungen von Fürst Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg zu-
rück, Christian Mechel ins Spiel zu bringen.78 (Abb. 24) Fast alle staatspolitischen Initiati-
ven im Bereich der bildenden Künste im Wien der 1770er und 1780er Jahre können mit
dem Staatskanzler und Protektor der k.k. vereinigten Akademie der bildenden Künste in
Verbindung gebracht werden. Ein Memorandum vom 25. Mai 1770, das Kaunitz in Beant-
wortung des Konzepts von Abbé Johann Marcy, Direktor des k.k. physikalischen Kabinetts,
zur Gründung der Akademie der bildenden Künste an Kaiserin Maria Theresia schickte,
kann als Quintessenz seiner Auffassung von Kunst und von den Beziehungen von Kunst
und Staat gelesen werden: Es hätten „die großen Meister Poussin, LeBrun, Girardon, Man-
sard und viele andere […] der Nation durch ihre Verbesserung des Geschmackes in den
Kunsterzeugnissen, und die Bildung guter Schüler einen dauerhafteren Vorteil als Condé,
Turenne, Luxenbourg, Vauban, Villars und andere Feldherren, gebracht: durch diese wäre
Frankreich ungeachtet seiner ansehnlich erweiterten Grenzen, unter der unerschwingli-
chen Schuldenlast gänzlich verarmet, und in Verfall gerathen, wenn ihm nicht jene auf der
anderen Seite wieder aufgeholfen hätten.“79 Diese Zeilen spiegeln das politische und kul-
turelle Klima im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wider, dessen Diskurs wesentlich von
ökonomischem Denken geprägt war.80 Voltaire, zu dessen begeisterten Lesern Kaunitz
zählte,81 brachte den common sense auf den Punkt, als er bemerkte, man habe sich, über-
sättigt von Versen, Tragödien und Komödien, nunmehr ganz der Wirtschaft zugewandt.
Auf Voltaire kann auch der Gedankengang von Kaunitz, die Bildung des guten Geschmacks
sei ein ökonomisches und damit ein nationales Interesse, zurückgeführt werden.82 Für die
Verbesserung der Kunstproduktion im Interesse der Staatsfinanzen rät Kaunitz zu einer
fundierten Ausbildung an der Akademie, die sowohl auf theoretischen Kenntnissen wie auf
praktischer Anschauung der Gemälde in der Galerie gründen musste, denn „selten hat das
Genie aus eigenen Kräften genug Stärke, sich in den schönen Künsten bis zur Erfindung,
und eigener Componirung zu schwingen, weil sich ohne ein kunstmässiges Studium, d.i.
ohne eine überlegte philosophische Kenntniß der schönen Natur, Betrachtung der Anti-
ken und besten Kunstwerke, Unterricht in der Mythologie, und Fabelkunde, und vor-
nehmlich ohne gute Anleitung nicht zu helfen weis.“83 Die öffentlich gemachte Galerie, als
École Publique verstanden, sollte – den Künstlern wie allen anderen – der Fortbildung die-
nen, den Geschmack bilden und den Patriotismus fördern. Damit verbunden war der An-
spruch, der an eine öffentliche Sammlung gestellt wurde: Eine Einrichtung, die nicht nur
den Reichtum des Herrscherhauses, sondern auch eine bildende, das heißt kunstverstän-
dige Ordnung veranschaulicht.84 Solcherart ,ökonomisiert‘ und ,intellektualisiert‘ stand die
Ordnungsfrage der Galerie nunmehr im Zentrum des Interesses. Somit verwundert es
nicht, wenn Christian Mechel als profunder Kunstkenner mit florierendem Kunsthandel im
Hintergrund die Unterstützung, sogar die Freundschaft des Staatskanzlers fand.85 Die
Agenden zur Galerie erhielt Kaunitz von Maria Theresia, als Joseph II. zwischen 11. April
und Juni 1778 bei der Armee weilte.86 Den neu gewonnenen Spielraum nutzend, machte
er sich daran, die Neuaufstellung der Galerie mit Hilfe Mechels voranzutreiben.
Christian Mechel hatte zunächst, im Sommer und Herbst 1778, einen – nicht erhalte-
nen – sogenannten Catalogue manuel e raisonné, einen beschreibenden Handkatalog der
kaiserlichen Galerie, verfasst.87 Ob er diesen Katalog aus eigenem Antrieb oder in Auftrag
entwarf, ist nicht bekannt. Als Kaunitz Mechel im November 1778 eine Audienz bei
Joseph II. vermittelte, konnte dieser dem Kaiser jedenfalls den ausgearbeiteten Catalogue
manuel e raisonné vorlegen.88 Mechel hatte darin – nach Hilchenbach – lediglich die von Abb. 24
Jean-Etienne Liotard, Comte Kaunitz, 1762,
Pastell, 58,4 x 47 cm. Privatsammlung
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur