Seite - 67 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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67 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Ordnung „den Karakter einer Gallerie unstreitig mehr erlanget, als verloren“, sie sei – so for-
mulierte er – „eine anschauliche Geschichte des menschlichen Geistes.“199 Im Kern kreiste
die Kontroverse also um die Frage, ob die Galerie ein „Lehrgebäude“ der Kunstgeschichte
zur Ausbildung des Geistes sein oder die Anschauung der Kunst zur Ausbildung des künst-
lerischen Geschmacks dienen solle. Denn in der Mechel-Aufstellung, in der vor allem das
Wissen um die Geschichte der Kunst vermittelt werden sollte, wurden – insbesondere im
zweiten Stock – die Gemälde unweigerlich als historische Artefakte relativiert und eine qua-
litativ urteilende Betrachtung der Kunstwerke hintangestellt.
JOSEPH ROSA: WIEDERAUFNAHME DER AGENDEN
Die kunsthistorisch belehrende und die qualitativ urteilende Betrachtungsweise zu verei-
nen, darum scheint es im Anschluss an Christian Mechel dem Galeriedirektor und Künstler
Joseph Rosa gegangen zu sein, der, nach dem kurzen Intermezzo Mechels, 1781 die Schlüs-
sel zur Galerie wieder übernahm – und die Gemälde sofort umhängte.200
Durch die beträchtliche Vermehrung an Gemälden waren in jenen Jahren einige Rocha-
den notwendig geworden. 1786 erfuhr die kaiserliche Galerie einen großen Zugewinn
durch den Erwerb von 53 – hauptsächlich niederländischen, aber auch französischen und
italienischen – Gemälden aus der Sammlung des Grafen Friedrich Moritz Nostitz in Prag;201
im Jahr darauf berichtete Rosa erstmals von einem Abschluss der Neuaufstellung der Gale-
rie.202 1792 und 1793 kamen weitere 18 Gemälde durch einen Bildertausch mit den Uffizi-
en in Florenz in die Galerie, weswegen Rosa in einem Schreiben an den Oberstkämmerer
auf die Schwierigkeiten verwies, unter diesen Umständen die Aufstellung der Galerie zu be-
enden.203 Rosa bezog sich vermutlich auf den Erwerb aus der Sammlung Nostitz, als er in
der abschließenden Anmerkung zum Katalog formulierte: „Nichts ist im Stande, dieses Ge-
schäft mehr zu erschweren, als ein fortwährender Zufluß neuerworbener Malereyen, indem
er die einmal angenommene Ordnung der Gemälde zerstört, und sowohl in der Aufstel-
lung, als in das Verzeichniß derselben große Veränderung bringt. Dieser Fall ergiebt sich
vorzüglich bey den deutschen und niederländischen Malereyen dieser k. k. Gallerie.“204
Nach der Transaktion des Gemäldetausches mit Florenz 1792/93 konnte Rosa endlich
die Neuaufstellung der Galerie und einen Katalog vollenden, denn „Bey so vielen Verände-
rungen, die zum Vortheile der k. k. Bildergallerie seit einigen Jahren vorgenommen wurden,
ist es also nothwendig, Künstlern und Kennern einen neuen Katalog in die Hände zu ge-
ben.“205 Die Gemälde der k.k. Gallerie erschienen 1796 in zwei Bänden, Erste Abtheilung, Ita-
lienische Schulen und Zweite Abtheilung, Niederländische Schulen. Darin beschreibt er nach
dem obligaten Vorwort – Zimmer für Zimmer, Gemälde für Gemälde – den ersten Stock des
Belvedere. Was den zweiten Stock mit den Gemälden der alten niederländischen und deut-
schen Schulen betraf, so unterläge eine Beschreibung „[...] noch in mancherley Rücksicht
vielen Schwierigkeiten. Ergänzungen, zumal aus dem Vorrath, der bereits vorhanden ist, ein
neuer beträchtlicher Zuwachs, die Angabe der eigentlichen oft billig bezweifelten Meister,
und eine gänzliche Veränderung der Plätze, welche ihnen gegenwärtig angewiesen sind,
fordern so viel Zeit und Arbeit, daß es mir unmöglich ist, über die Fortsetzung etwas Ge-
wisses zu bestimmen.“206 Tatsächlich sollte es Rosa nicht gelingen, einen solchen Band her-
auszugeben. Der 1804 veröffentlichte Nachtrag zum Kataloge der k.k. Bildergallerie bot nur
eine Ergänzung zu den ersten beiden Bänden mit neu hinzugekommenen Kunstwerken.207
Mit der Umgestaltung der Galerie ergriff Rosa die Gelegenheit, seine Vorstellungen
und Betrachtungsweisen einer kunstwissenschaftlichen Hängung in der Galerie umzuset-
zen. Da Rosa die von Mechel vorgebildete Systematik nach Malerschulen bzw. die Raum-
abfolge der einzelnen Schulen nicht antastete, er aber nur den ersten Stock dokumentiert
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur