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73 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Den letzten Akt im Bildertausch eröffnete der 1793 ernannte Florentiner Galeriedirektor
Tommaso Puccini mit der Rücksendung zweier Gemälde und einer Reihe von entsprechen-
den Kompensationswünschen – zu einem Zeitpunkt, 1796, als man in Wien den Bilder-
tausch eigentlich als abgeschlossen betrachtet hatte. Sich der ursprünglichen Idee des Bil-
dertausches besinnend, begann man auf Florentiner Seite bezeichnenderweise erst geziel-
te Forderungen nach bestimmten Gemälden zu stellen, als man in den fünf Kabinetten
neben der Tribuna und in zwei großen Sälen eine Schulordnung mit vorwiegend nördli-
cher und flämischer respektive mit venezianischer Malerei einführte. Mit der Bemerkung,
es ließe „[…] sich nicht verhehlen, daß der beabsichtigte Zweck [bisher] nicht ganz er-
reicht wurde, der nicht einfach darin bestand, die Anzahl guter Gemälde zu vergrößern“,
was noch bei Pelli Bencivenni ausdrücklich der einzige Wunsch war, „sondern die Serien
der großen Meister zu vervollständigen“241, drängte er nachdrücklich auf die Entsendung
venezianischer und niederländischer Gemälde zur Komplettierung der Malerschulen. Mit
den ausverhandelten Werken von Giorgione (Gattamelata), Gaspar de Crayer (Maria mit
Jesuskind und hl. Joseph), Frans Snyders (Wildschweinjagd) und Jan Fyt (Federvieh) schien
ihm das gelungen. Als diese vier Gemälde endlich – nach den napoleonischen Kriegen im
April 1821 – in Florenz einlangten, war keiner der ursprünglich mit dem Bildertausch be-
fassten Sammlungsverantwortlichen mehr am Leben.242
Die Malerschule erlesen: Das Florentiner Zimmer
Auch wenn Rosas Kommentare den Anschein erweckt hatten, dass die kaiserliche Samm-
lung durch den Bildertausch einen nicht wieder gut zu machenden Verlust erlitten hatte,
kann doch als Errungenschaft gewertet werden, dass Rosa alle letztlich akzeptierten Ge-
mälde aus Florenz unmittelbar in die Galeriehängung integrierte und die Florentiner Schu-
le innerhalb der anderen italienischen Schulen adäquat repräsentiert werden konnte.
Zwölf Bilder aus Florenz wurden im Florentiner Zimmer arrangiert: bei 40 Bildern, die das
Zimmer insgesamt umfasste, ein beträchtlicher Anteil. 18 ,schwächere‘ Bilder wurden er-
setzt. (Abb. 48, 49, 50, 51)
Die dem Bildertausch zugrunde gelegte Idee der Vervollständigung respektive Ver-
vollkommnung hat nicht nur die Frage nach dem kunsthistorischen Konzept neu aufgewor-
fen, sondern auch Rosas Aufmerksamkeit auf die zentrale Figur der italienischen Kunstge-
schichtsschreibung gegen Ende des 18. Jahrhunderts, Luigi Lanzi, gelenkt. Gleich nach
dem überraschenden Einlangen der Wiener Wunschliste hatte man in Florenz mehrere
fachkundige Gutachten zur Gemäldeauswahl der ersten Lieferung anfertigen lassen.243
Neben den Akademieprofessoren Tommaso Gherardini und Gesualdo Ferri, lieferte der
durch das sammlungsgeschichtliche Werk La Real Galleria di Firenze244 und die Erstausgabe
der Storia pittorica245 von 1792 prominent ausgewiesene „Antiquar“ der Galerie, Luigi
Lanzi, eine profunde kennerschaftliche und quellenkundige Expertise zu den letztlich
ausgewählten 14 Bildern.246 In diesem Gutachten beschränkte sich Lanzi nicht nur darauf,
die kennerschaftlich ermittelten Gemäldeeigenschaften wie Eigenhändigkeit, künstlerische
Vollendung und Erhaltungszustand zu untersuchen, sondern brachte auch seine methodi-
schen Kenntnisse aus der archivalischen Forschung zur Anwendung. Er führte historische
Quellenschriften zur Provenienz der Werke an und setzte sie in Bezug zum bisherigen
Diskurs in der Kunstliteratur. Lanzi entfaltete im Zuge des Bildertauschs ein Studium der
Gemälde, das Rosas eigene kunstwissenschaftliche Beschäftigung nachhaltig beeinflussen
sollte: Rosa nennt Lanzi aufgrund seiner Befähigung zur Beurteilung von Kunstwerken
einen „virtuoso signore“ und erklärt, dass er in Hinblick auf die Bewertung der (Tausch-)
Bilder dieselben Kriterien anwenden wolle wie dieser.247
Im Vorwort und in zahlreichen Eintragungen zu einzelnen Gemälden des Katalogs von
1796 führte Joseph Rosa die für seine Kunstauffassung maßgebliche – aktuelle – Fachlite-
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur