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Hoppe-Harnoncourt Altdeutsche Malereischule
Von Paris bis Karlstein: Friedrich Schlegels Betrachtung altdeutscher Kunst
Um 1800, als Europa bereits seit einigen Jahren im Bann der französischen Revolution und
der damit verbundenen Kriege war, blickte die kunstinteressierte Welt nach Paris. Denn es
waren nicht nur territoriale und politische Bestrebungen, die Frankreich antrieben, son-
dern man nutzte die militärischen Erfolge, um Paris durch gezielten Kulturgütertransfer
zum kulturellen Zentrum zu machen. Hauptwerke der Kunst aus Italien und den flämi-
schen Gebieten waren im Louvre zu sehen.42 Bei der französischen Mission in Süddeutsch-
land von 1800 bis 1801 hatte der zuständige Kommissär François-Marie Neveu den
Auftrag, altdeutsche Kunst für das Pariser Museum auszuwählen. Dies entsprach nicht der
geschmacklichen Vorliebe der Verantwortlichen, sondern resultiert aus dem Bestreben,
die Eigenheiten aller Kunstschulen an einem Ort zeigen zu können.43 Ab 1802 hielt sich
Friedrich Schlegel, der Hauptvertreter des frühromantischen Kreises, in Paris auf und
berichtete in der Zeitschrift „Europa“ (1803–1805) über die im Musée Napoléon ange-
sammelten Kunstwerke. In verschiedenen Beiträgen offenbart sich seine Hinwendung zu
einer neuartigen, sich vom Klassizismus abhebenden Kunstbetrachtung:44 Nach Schlegels
Ansicht fand die alte Kunst viel zu wenig Beachtung. Die altitalienische Malerei gäbe den
ursprünglichen Begriff und Zweck der Kunst viel reiner und richtiger zu erkennen als die
späteren Werke. Er bemerkte kritisch, dass die altdeutsche Kunst noch weitaus unbekann-
ter sei, obwohl er sie als ebenso wichtig wie die altitalienische einstufte.45 An anderer
Stelle sprach Schlegel voller Bewunderung über Albrecht Altdorfers Alexanderschlacht aus
der Münchener Gemäldesammlung, die damals im Louvre zu sehen war. Er empfahl den
heimischen Künstlern nach München zu pilgern, sollte es dort noch mehr derartige
Werke geben. Schließlich äußerte Schlegel den Wunsch, dass ein „kunstliebender deutsch
gesinnter“ Fürst alle noch vorhandenen, zum Teil aber zerstreuten Kunstdenkmäler mög-
lichst in einer Sammlung altdeutscher Gemälde vereinigen möge.46 Diese Aufforderung
wurde wohl hinsichtlich der damals zahlreichen Säkularisierungen deutscher geistlicher
Fürstentümer und Klöster ausgesprochen. So wurden zu jener Zeit viele Kunstschätze aus
altem kirchlichem Besitz entweder landesfürstlichen Sammlungen einverleibt oder verstei-
gert. Auf diese Weise akquirierte die bayrische Gemäldesammlung unter Maximilian von
Bayern zwischen 1802 und 1816 300 altdeutsche und altniederländische Gemälde.47
Auch Privatsammler nahmen nun die Möglichkeit wahr, alte Kunst zu kaufen. Ein promi-
nentes Beispiel aus dem unmittelbaren Umfeld von Friedrich Schlegel sind die Brüder
Melchior und Sulpiz Boisserée, in deren Nachfolge ab dem zweiten Jahrzehnt einige
Privatsammler eine Vorliebe für altdeutsche Kunst entwickelten.48
Die Kreuzkapelle des Schlosses Karlstein bei Prag war nach wie vor mit vielen Heiligen-
bildern des Theoderich von Prag ausgestattet, auch wenn die Hauptwerke der Altarwand
seit 1780 in der Wiener Galerie waren. Friedrich Schlegel besuchte 1808, kurz nach seiner
Übersiedlung nach Wien, das Schloss und besichtigte die verbliebenen Kunstschätze. Be-
sonders beeindruckt zeigte sich Schlegel von den Heiligenköpfen des Theoderich von Prag:
„Für das Auge am anziehendsten und für die Kunstgeschichte unstreitig am wichtigsten
sind die Heiligenköpfe von Theodorich. Es sind derer etwa noch 120, alle meistens in ei-
nem Format, Brustbilder etwas über Lebensgröße […]. Die Köpfe sind durchgehends aus-
drucksvoll, weich von Blick und Farbe, viele von hoher Schönheit; wie man es schon weiß,
daß die Köpfe auf den ältesten Gemählden zu seyn pflegen; sinnvoll und edel gestaltet, tief
gefühlt und so glücklich und leicht hingemahlt, daß der neuere Künstler es wohl beneiden
möchte.“49 Schlegel weist aber nicht nur auf die von ihm tief empfundene Schönheit der
Gemälde hin, sondern betont auch ihre Bedeutung als Entwicklungsglied in der Kunstge-
schichte: „Ich bin weit entfernt, den Theodorich von Prag als Mahler mit einem Giotto
oder Gozzoli vergleichen zu wollen. Allein daß Theodorichs Bilder keineswegs gering zu
schätzen sind, und ein sehr merkwürdiges Glied in der Entwicklung der fortschreitenden
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
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- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur