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Hoppe-Harnoncourt Altdeutsche Malereischule
Füger versus Denon: Die altdeutsche Malereischule in den Jahren der napoleonischen Kriege
Die 1781 eingeführte Ordnung der altdeutschen Schule wurde erst nach Fügers Antritt
als Galeriedirektor tiefergreifend verändert. Die Säkularisierung des Fürsterzbistums Salz-
burg und dessen spätere Eingliederung in das habsburgische Erbland im November 1807
brachte einen umfangreichen Zuwachs an Gemälden dieser Schule.62 Zahlenmäßig war
dies keineswegs vergleichbar mit den Akquisitionen der Münchener Galerie in jener Zeit.
Jedoch sind die ältesten dieser Tafeln aus Salzburg sehr großformatig und dem damali-
gen Geschmack nach auffallend altertümlich: Darunter waren die Altarflügel von Rueland
Frueauf d.Ä., die große Kreuzigung von Conrad Laib von 1449 sowie eine etwas kleinere
um 1470 datierte Kreuzigung.63 Die Ausstellung dieser Gemälde in der Galerie hätte we-
gen ihres Formates auf jeden Fall eine Veränderung des Bereichs der altdeutschen Schule
von 1781 verursacht. Es ist unbekannt, ob Füger die Bilder 1808 in die Galerie brachte
oder vorerst deponierte, doch gibt es einen Hinweis, dass er bereits zu Beginn seiner
Amtszeit eine Veränderung im zweiten Stock vorgenommen hatte: Als im Frühjahr 1809
ein Teil der Galerie auf Grund des vierten Koalitionskrieges gegen Frankreich nach Temes-
war evakuiert werden musste, wurden nach Gemäldeschulen geordnete Listen erstellt.
Dort ist erstmals im zweiten Stock zusätzlich zur altdeutschen und altniederländischen
Schule auch eine altitalienische Schule verzeichnet.64 Diese Veränderung blieb allerdings
nicht lange bestehen. Füger musste angesichts des Heranrückens der französischen Trup-
pen in kurzer Zeit auswählen, welche Gemälde in Sicherheit gebracht werden sollten. Da
er keine die Auswahl betreffende Befehle erhielt, orientierte er sich an den vergangenen
Evakuierungen65 und konzentrierte sich vor allem auf den Hauptbestand im ersten Stock
mit den „ausgezeichneten Stücken“ der italienischen und niederländischen Schulen so-
wie auf die „besonders wertvollen Stücke“ der altdeutschen und altniederländischen
Schulen. Alles andere wurde deponiert.66
Nach der Besetzung Wiens durch die napoleonischen Truppen wurden die Depots zu
französischem Eigentum erklärt. Der Generaldirektor der französischen Museen, Domi-
nique-Vivant Denon, übernahm die Auswahl der Gemälde, die nach Paris gebracht wer-
den sollten. An die 400 Bilder verblieben bis 1815 in Paris, während die evakuierten 1810
wieder in die Wiener Galerie zurückkehrten.67 Bis 1811 war Füger mit der Neueinrichtung
der Galerie beschäftigt. Im Juni 1811 berichtete er, dass die altdeutsche Schule im zwei-
ten Stock bereits fertig aufgestellt sei. Darauf würden noch die altniederländische, die al-
titalienische Schule sowie die Ausstellung nicht näher benannter neuerer Bilder folgen.68
Somit war die Mechelsche Grundeinteilung aufgehoben und tatsächlich, wie bereits vor
1809, um eine altitalienische Schule erweitert. Da die alten Kataloge von Mechel und
Rosa als Galerieführer nicht mehr tauglich waren, brachte er neue Nummern auf den
Rahmen an, die sich auf eine in jedem Raum angebrachte Tafel mit den verzeichneten
Künstlernamen bezogen.69 Gegenüber der Mechelschen Ordnung muss das erste Zim-
mer mit den altdeutschen Gemälden einen ganz anderen Eindruck hinterlassen haben:
von den oben besprochenen Gemälden aus Karlstein verblieb nur das Triptychon
Tommasos da Modena. Denn neben den eben erst aus Salzburg eingelangten Altartafeln
waren auch die Kreuzigung und die Kirchenväter Hl. Ambrosius und Hl. Augustinus von
Theoderich von Prag unter den Bildern, die der französische Kommissär Denon 1809 für
das Pariser Museum ausgewählt hatte. Der Verlust so vieler Gemälde dürfte ein tragisches
Ereignis in Fügers bisher glänzender Karriere gewesen sein. Kaiser Franz machte dem
Galeriedirektor speziell den Verlust so vieler deutscher Gemälde zum Vorwurf. Zu seiner
Verteidigung erklärt der Galeriedirektor, dass keine Werke von großem Kunstwert darunter
gewesen seien. Doch diese Meinung schien man bei Hof nicht zu teilen, denn Füger
wurde der üblicherweise an Hofbeamte verliehene Titel eines „kaiserlichen Raths“ unter
Hinweis auf den großen Verlust vorerst verweigert.70
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Band
- 1
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorie
- Kunst und Kultur