Seite - 318 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
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Wolf Museumskulturen
318 In den Gemäldegalerien, wer immer an ihrem Anfang beginnt und nicht Tage Zeit hat,
wird man zwangsläufig zum Kenner der italienischen Schulen von Giotto bis Veronese, der
sog. toskanischen, venezianischen, lombardischen, römischen, neapolitanischen Schulen,
und um die Verschulung der Kunst als Kunstgeschichte soll es in diesem Band ja u.a.
gehen. In Dresden, Wien oder Berlin etwa ist der Gang durch die Gemäldegalerie auf
solche Abfolgen konzentriert, fokussiert in unterschiedlicher Weise die Regionen, die
Künstler oder das Einzelwerk (etwa das ultimative Meisterwerk der Sixtinischen Madonna in
Sempers sakraler Inszenierung); ihre Orte sind als Museumsbauten entstanden und führen
durchaus nicht zu den Werken, welche die nationalen Dramen der anbrechenden Moderne
thematisieren. Oder man hat eine Trennlinie legen wollen wie in Berlin mit der Einrichtung
der neuen Nationalgalerie, wo man die deutschen Meisterwerke jenes Jahrhunderts
bewundern kann, welches eine Vielzahl solcher Museen geschaffen hat.
Die Uffizien bilden einen Sonderfall, wenn man das Museum auf seine Rolle als lieu de
mémoire oder auf seine Position zwischen lieu und non-lieu befragt. Es handelt sich um
Büros eines frühabsolutistischen Staatsapparats und zugleich um den Ort von Sammlung
wie Ausstellung seit dem 16. Jahrhundert mit Theater, Werkstätten, Raritätenkabinett,
Skulpturen und Gemälden. Man bedenke seine Umgestaltung im späten 18. Jahrhundert
in osmotischer Beziehung zu Wien – ich meine den berühmten Bildertausch von 1792 – in
eines der dichtesten Narrative der italienischen Schulen.3 Viele ihrer Meisterwerke sind
gleichwohl solche von Künstlern, die sie in Florenz geschaffen haben; die Uffizien blieben
insofern Vasaris Galerie, wenn man so möchte, aber in einer Relektüre, die das Modell des
Aufstiegs und Falls (bei Vasari eher Epochenzyklus als biographisch) umdifferenzierte in
eine Geographie der Schulen in kennerschaftlicher Perspektive, mit einem Fokus auf letz-
terer als ultimativer Methode einer sich am Horizont abzeichnenden akademischen Kunst-
geschichte im Sinne des 19. Jahrhunderts. Die Uffizien bleiben im Königsweg ihrer Meister-
werke eine Zelebration von Florenz und Rom (bzw. der Rolle von Florenz für Rom) mit Seiten-
blicken nach Venedig oder nach Norden, in einer gewissen historischen Geschlossenheit.
So wird durch diese Umgestaltung aus den Uffizien als Sammlungsort mit enzyklopädischem
Anspruch ein purifizierter Rest herausgefiltert in einer komplexen Ordnung, aus einem
Modell von Welt in allen ihren Erscheinungsformen und dem Zusammenspielen von Natur
und Kultur eine Gemäldegalerie in Verbindung mit einer Aufstellung antiker Skulpturen.
Man kann das schön an der Tribuna zeigen, in der sich diese Diskurse sichtbar (oder auch
in Kabinetten verborgen) verdichteten.4 Ich werfe einen kurzen Blick auf Johann Zoffanys
im Auftrag der englischen Königsfamilie von 1772–78 geschaffenes Bild (Abb. 2), weil es
zugleich das Umhängen der Werke, d. h. die Umgestaltung der Sammlung selbst thema-
tisiert.5 Zoffanys Werk entsteht im Moment einer sich neu formierenden Kunstgeschichte
in ihrem alten Zentrum, nämlich der Tribuna als Sancta Sanctorum mediceischer Samm-
lungskultur,6 welche Meisterwerke der antiken Skulptur, der Malerei sowie Kostbarkeiten
einer Wunderkammer vereinigten und eine der Hauptattraktion jedes Florenzbesuchs der
grand tour darstellten. Ihre Entmantelung oder besser Auskernung hatte zwar schon früher
begonnen, doch schreibt der schottische Dichter und Schriftsteller Tobias Smollett noch
1765 in einem seiner Reisebriefe, die er unter dem Titel Travels through France and Italy
1766 veröffentlicht, über die Tribuna:
“There is such a profusion of curiosities in this celebrated museum; statues,
busts, pictures, medals, tables inlaid in the way of marquetry, cabinets
adorned with precious stones, jewels of all sorts, mathematical instruments,
ancient arms and military machines, that the imagination is bewildered,
and a stranger of a visionary turn would be apt to fancy himself in a palace
of the fairies, raised and adorned by the power of inchantment.“7
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur