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345 Felfe Dynamiken von Sammlungskultur
wiederum Insekten und das heißt gerade jene animalia sind, in denen die Natur fortwäh-
rend verblüffende Metamorphosen durchläuft. Indem sich die Signatur van Kessels, auf ei-
ner kleinen Tafel im Zentrum, aus den Figuren vor allem von Raupen und Larven zusam-
mensetzt, ergibt sich eine doppelte Verschränkung von Kunst und Natur in zeitlichen Di-
mensionen. Während der Spezialist für antike Altertümer zum Organisator einer museal
inszenierten Universalgeschichte unter Einschluss der Natur wird, scheint die Kunst der
Malerei ihrerseits in den Wandlungsprozessen dieser Natur zu wurzeln.
Das Theatrum Pictorium – Ambition und Kritik
Parallel zu dieser programmatischen Aufladung des gelehrten Kunst-Agenten trat in un-
mittelbarem Zusammenhang mit der nach Wien überführten Sammlung Leopold Wil-
helms dessen Hofmaler in neuer Weise als Publizist in Erscheinung. 1660 gab der bereits
erwähnte David Teniers d.J. in Brüssel mit dem Theatrum Pictorium den ersten illustrierten
Katalog einer Gemäldesammlung heraus. Als Intention dieses ambitionierten Werkes hat
die Forschung vor allem die Repräsentation von Fülle und Reichtum der Sammlung als be-
sondere Form der Würdigung des gebildeten Fürsten hervorgehoben.35 In der Geschichte
des Kunstbuchs wird dem Theatrum somit tendenziell die Rolle eines historischen Links
zwischen frühneuzeitlicher Kunstkammer und jener zunehmenden Öffentlichkeitswirk-
samkeit zugewiesen, die sich nicht zuletzt in jenen Galeriewerken des 18. Jahrhunderts mit
ihrem zunehmend spezifischen und systematisch gegliederten Wissen über die Malerei
herstellte. Titelblatt und Frontispiz weisen mit Wappen und Bildnismedaillon unmissver-
ständlich Leopold Wilhelm als ambitionierten Sammler und Schirmherrn dieser Publika-
tion aus. (Abb. 8) Es folgen 243 Drucke nach einer Auswahl überwiegend venezianischer
Gemälde. Teniers selbst hatte zu diesem Zweck seit 1655 kleine Ölskizzen nach den Origi-
nalgemälden angefertigt, und nach diesen Kopien wurden von insgesamt 14 beteiligten
Graphikern die Radierungen für den Druck ausgeführt.36 (Abb. 10 und 11)
Als Pendant zum Bildnismedaillon des fürstlichen Sammlers wurde zudem ein Porträt
von Teniers in die Bände integriert. (Abb. 9) Zum einen findet hierin jene Gesellschaft ein
Echo, in der sich Teniers, zusammen mit dem Fürsten und einzelnen Höflingen, bereits
etwa in der Wiener Version seiner Galeriebilder gezeigt hat. (Abb. 5) Zugleich pointiert es
bei aller Ehrerbietung für den (einstigen) Dienstherrn und Eigentümer der Sammlung
durchaus selbstbewusst den eigenen Anspruch auf die Autorschaft an dem gedruckten
Werk.37 Teniers’ Ambitionen in Hinblick auf diese Publikation wandten sich vor allem an
eine internationale Sammlerschaft. Titelei und Vorbemerkungen wurden entsprechend in
vier Sprachen ausgeführt. Die insgesamt fünf teils geringfügig erweiterten Ausgaben bis
1755 zeugen vom allgemeinen Erfolg des Unternehmens. Wie sehr im Zuge dieser weiteren
Editions- und Rezeptionsgeschichte die Person des Hofmalers und Autors jene des Fürsten
und Sammlers überlagerte, zeigt sich etwa darin, dass in Referenzen auf die Publika
tion im
18. Jahrhundert häufig von Tenier’s Gallery oder dem Cabinet de Teniers die Rede ist.38
In dieser exponierten Position als Autor scheint Teniers indessen nicht nur Ruhm und
Anerkennung auf sich gezogen zu haben, sondern er wurde auch zum Adressaten teils ver-
nichtender Kritik – und dies bereits bald nach dem Erscheinen des Theatrum Pictorium. Als
Charles Patin 1669 die inzwischen in der Wiener Stallburg installierte Gemäldesammlung
von Leopold Wilhelm besuchte, äußerte er sich mit kaum zu überbietender Geringschät-
zung über die Publikation. Dabei lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob seine Ausführun-
gen auf einem direkten Vergleich des Kunstbuches mit den Originalen vor Ort beruhen,
oder ob sein Bericht diesen Vergleich retrospektiv herstellt. In jedem Falle nahm er nun
den Besuch der Galerie, die er als erste von zwei bedeutenden Sammlungen der Stadt er-
wähnt, zum Anlass, speziell über die Leistung von Teniers ein Urteil abzugeben, das an
Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt:
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Untertitel
- Europäische Museumskultur um 1800
- Band
- 2
- Autor
- Gudrun Swoboda
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 264
- Kategorie
- Kunst und Kultur