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Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Seite - 350 -
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350 Felfe Dynamiken von Sammlungskultur ger an den Opfertod Jesu erinnert, als – ganz im Sinne der imperialen Deutung der In- schrift durch Patin – Christus als Weltenherrscher evoziert. (Abb. 12) Im darauf folgenden Exponat setzt die heilsgeschichtliche Dimension der Naturalien noch einmal bei der Menschwerdung Gottes an. Gezeigt werden die beiden Hälften eines Gesteins, in dessen inneren Kristallstrukturen – ebenfalls von der Natur selbst gebildet – Maria mit dem Jesus- knaben auszumachen ist. (Abb. 16) Während der zugehörige Titel unterstreicht, dass die Natur hier ein Motiv von höchster Autorität zum Ausdruck gebracht habe, wird das wun- derbare Kultbild im Stich auch noch mit einer Aureole umgeben, die sich ebenfalls in der mineralischen Struktur materialisiert zu haben scheint.54 Dieses genealogische Moment wird in der folgenden Observation explizit auf die Habsburgische Dynastie und den gegenwärtigen Kaiser zugeschnitten. Ein steinernes Ei zeigt dort den auf wunderbare Weise entstandenen Großbuchstaben „L“, der als Insignie und Vorankündigung des Thronfolgers Leopold verstanden wurde.55 Das letzte Stück aus Wien war ein auffällig deformierter Bezoar.56 Seit dem Mittelalter wurden diese organi- schen Gebilde vor allem ihrer vermeintlich Gift abwehrenden Wirkung wegen geschätzt. Mit ihm schließt sich der Bogen einer religiös-dynastischen Symbolik im Sinne einer apo- tropäischen Geste zum Schutz des gegenwärtigen Kaisers. Interessant ist an dieser Episode vor allem, wie naturkundliches Interesse und mäzena- tische Gunstbezeigung, gebunden an Sammlungsstücke, zugleich eine weitere Öffentlich- keit finden. Indem das Kaiserhaus eine Auswahl höchst bedeutungsvoller Naturalien als In- signien seines imperialen Anspruchs publizieren ließ, erweiterte sich deren Wirkungskreis weit über die Sammlungen im engeren Sinne hinaus. Die Akademie konnte ihrerseits eine erste öffentliche Manifestation jener kaiserlichen Schirmherrschaft inszenieren, die sich erst Jahre später institutionalisieren und in der Umbenennung zur Academia Leopoldina dauerhaft ihren Ausdruck finden wird.57 Im jungen internationalen Medium wissenschaft- licher Periodika fungierten dabei Sammlungsobjekte selbst, bzw. deren Bilder, wechselwei- se als Akteure in einer sich selbst gerade erst eigene Institutionen gebenden „republique des lettres“. Uneingelöste Curiosité Für Charles Patin wurden diese Netzwerke von Gelehrten in den langen Jahren des Exils zum wichtigen Rückhalt und zum Terrain weiterer Unternehmungen. Seit 1676 lebte er in Padua, wo er mit verschiedenen Professuren an der medizinischen Fakultät betraut wurde. Er scheint das milde „Joch der Venezianischen Republik“ genossen zu haben und wurde denn auch als Mediziner der Paduaner Fakultät am 4. Mai 1679 zum Mitglied der Acade- mia Naturae Curiosorum berufen. Seine doppelten Ambitionen, sich in der Gemeinschaft der Gelehrten ebenso auszuzeichnen wie bei Hofe, waren offenbar ungebrochen. Als im selben Jahr große Teile Österreichs und auch Wien von der Pest befallen wurden, sandte er Proben eines Medikaments, das er für besonders wirksam hielt, zu Testzwecken an eini- ge Leibärzte des Kaisers. Ähnliches schlug er der Akademie vor und widmete ihr zudem eine eigene Studie zur Pest.58 Wenngleich es Patin somit gelang, nach seiner Flucht und den Reisejahren sich eine Gelehrtenexistenz relativ unabhängig von Fürsten und ihren Höfen zu sichern, so war dies doch keineswegs freiwillig. Der Wunsch, seine antiquarischen und künstlerischen Interessen im Wirkungskreis bedeutender Sammlungen zu entfalten, blieb unerfüllt. So ist Patin ein Beispiel für die gescheiterte bzw. verhinderte Karriere als Kunstexperte an der historischen Schwelle zwischen höfischer Sammlungskultur und einer weit dar- über hinausreichenden Öffentlichkeit. Gerade dies gibt seiner Person so signifikante Konturen. Bereits seit dem Basler Aufenthalt, Anfang der 1670er Jahre, widmete er sich teils aufwendigen verlegerischen Projekten zur Numismatik und er engagierte sich er- Abb. 15: Crucifixus ex radice crambes enatus, in: Miscellanea, Bd. 1, 1670, S. 260
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Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums Europäische Museumskultur um 1800, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Untertitel
Europäische Museumskultur um 1800
Band
2
Autor
Gudrun Swoboda
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79534-6
Abmessungen
24.0 x 28.0 cm
Seiten
264
Kategorie
Kunst und Kultur
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Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums